Der letzte Teil meines Vergleiches behandelt die einzelnen Charaktere etwas genauer, allerdings hauptsächlich im Bezug auf ihre Hintergründe. Vorlieben hat ja jeder andere, und ich werde zwar sicher auch mal durchscheinen lassen, ob ich jemanden mochte oder nicht, aber darum soll es eigentlich nicht gehen. Ich möchte eher die Daseinsberechtigung mancher Personen in der Geschichte beleuchten und so wenig wie möglich auf Sympathie und Antipathie beim Spieler eingehen - in dem Bezug wird es eher darum gehen, wie gut es meiner Einschätzung nach überhaupt möglich ist, die einzelnen Charaktere kennenzulernen, aber auch das nur als sekundäres Thema.
5. Die Notwendigkeit der Charaktere
Grundsätzlich möchte ich gleich von Anfang an
klarstellen: Ja, absolut jeder einzelne Charakter hat eine fixe
Begründung, in den jeweiligen Nonary Games beider Spiele zu sein. Nämlich, weil Akane
gesehen hat, dass es so sein muss. Diesen Punkt möchte
ich aber hier ignorieren, weil es einfach nur eine sehr bequeme
Begründung für allen möglichen, abgefuckten Scheiß ist.
In "999" startet man mit einer Truppe, die
augenscheinlich bunt zusammengewürfelt wurde, aber nach und nach erkennt
man, dass wirklich alle irgendeinen Zusammenhang haben. Alle, außer
Junpei, haben eine relativ starke Verbindung mit dem
ersten Nonary Game. Die Hälfte der Leute waren Teilnehmer, dann gibt es
die Veranstalter, den Retter der Kinder und eine Mutter, deren Töchter
betroffen waren. Es gibt eine „übergeordnete Bindung“ untereinander, was
einem unweigerlich das Gefühl vermittelt,
dass diese und keine anderen Leute an dem Spiel teilnehmen mussten.
Über den wahren Nutzen der Charaktere kann man sicher diskutieren – warum Lotus und nicht ihre Kinder? Wurde sie entführt, um den Computer hacken zu können oder gäbe es dieses Rätsel
ohne eine Teilnahme gar nicht? Oder war es wirklich so wichtig, Seven dabei zu haben, nur um
seine Erinnerungen irgendwann preisgeben zu können, wo Snake und Clover
denselben Zweck erfüllen hätten können (vor allem weil er gerade mit dieser Erinnerung Teil eines ziemlich großen Plotholes ist)? Und überhaupt, war Clover nur
dazu da, Junpei letztendlich auf die richtige
Fährte zu locken, obwohl die Gefahr bestand, dass sie alle umbringen
würde? Auf all diese Fragen gibt es wahrscheinlich viele Antworten, je
nachdem wie der Spieler selbst diese Dinge interpretiert. Aber wichtig
ist mir eigentlich, dass man das Gefühl hat, dass jede
Person hier ihren Platz und ihre Daseinsberechtigung hat. Eng damit
verbunden ist natürlich auch die schon tausend Mal von mir angepriesene Beteiligung der Charaktere – da sie in
den Rätselräumen recht viel sagen und allgemein ein ständiger Dialog
herrscht, wirkt zusätzlich jeder irgendwie wichtig.
Außer dem 9th Man vielleicht. :P
Letzteres trägt natürlich auch dazu bei, dass
man als Spieler relativ schnell eine Verbindung zu den einzelnen Leuten
aufbaut. Zwar wirken sich diese je nach Route unterschiedlich aus, weil
der eigene Fokus stark davon abhängt, mit wem
man in die Rätselräume geht, aber das ist nicht weiter tragisch. Im
Endeffekt hat man nämlich irgendwann zu jedem eine relativ klare Meinung, die auch nicht verblasst, weil sich zum Schluss trotz unterschiedlicher Rollen die meisten irgendwo gleichwertig anfühlen.
Ich möchte hier noch kurz anmerken, dass ich
tatsächlich jedem Charakter etwas abgewinnen konnte. Als mein Freund das Spiel damals
angefangen hat und ich zum ersten Mal nach meinen eigenen Durchgängen die ganze
Truppe wieder gesehen habe, war ich unfassbar glücklich über jeden
einzelnen. Egal ob gut oder böse – die Charaktere
gingen mir nahe und hinterließen einen bleibenden Eindruck.
In „Virtue’s Last Reward“ gab es natürlich ein neues Prinzip für die einzelnen Charaktere, aber grundsätzlich war das grobe Muster nach der Auflösung sehr ähnlich:
Da war der wahre Bösewicht, der aber nicht Zero war, die Leute, die mehr
wussten als andere (aber hey, ohne Amnesie!) und schließlich die, die
mit Zero zusammenarbeiteten. Es gab aber diesmal keinen übergeordneten
Zusammenhang zwischen diesen Gruppierungen, da waren eher viele kleine
Stränge im Spiel, die am Ende kein großes Ganzes ergaben. Und mir wurde
ganz deutlich das Gefühl vermittelt, dass
viele Personen nur im Spiel waren, damit Leute des ersten Teils auch
was davon haben. Alice, Clover und Junpei
sind im Endeffekt nämlich für mich die, die gemeinsam
mit Quark am wenigsten Daseinsberechtigung haben.
Junpei müsste im Spiel an sich nicht unbedingt dabei sein.
Er trägt nichts zum Erfolg des Unternehmens bei, außer dass er am Ende
einige Details enthüllt, aber da waren genug Leute, die auch alles wussten. Also, ich hätte es den Entwicklern wahrscheinlich übel genommen, wenn Junpei nicht irgendwo vorgekommen wäre, aber warum nur als extremer Statist? Die Hälfte der Charaktere hatte größere Rollen, obwohl er Potential hatte. Er war im Nonary Game, um Akane wieder zu sehen (und man kann viel und schön spekulieren, warum sie ihn auch wieder dafür ausgewählt hat) und war an der Nevada Testsite auch irgendwie beteiligt... und dann darf er nur am Ende ein paar Plottwists verraten, während sich im Spielverlauf an sich eh niemand für ihn interessiert. Noch weniger verstehe
ich, warum Quark dabei sein musste. Seine
Existenz im Nonary Game beruht darauf, die meiste Zeit abwesend zu sein
und Radical-6 zu bekommen. Quark hat nichts Interessantes zu bieten, ist kaum dabei und hat keinerlei Verbindung zu irgendwas. Er zeigt eigentlich nur, dass Junpei auch ohne Akane etwas Gutes in seinem Leben hat, was an sich cool ist, aber da der ehemalige Protagonist über weite Strecken keine allzu große Rolle spielt, vergisst man das eben auch gerne mal.
Kommen wir zu Alice. Eine Person, die in „999“
ein absolutes Mysterium war und auf die wahrscheinlich jeder Spieler
absolut gespannt war. Aber da gibt es nichts Spannendes herauszufinden. Sie
war einfach eine ganz normale Person, die bei einer
geheimen Organisation arbeitete. Grundsätzlich ist dagegen nichts
einzuwenden, aber auch das hätte jede andere 0815-Tussi sein können.
Lieber wurde aber die Neugierde der 999-Liebhaber geweckt und das
Mysterium auf vollkommen lahmarschige Weise einfach zerstört.
Schließlich ist da noch Clover, die einfach auch
nur da ist, damit sie da ist. Ja, mit ihrer Hilfe könnte man
herausfinden wer Tenmyouji ist, und sie erzählt Gott sei Dank auch ein
bisschen was davon, was nach 999 so passiert ist.
Aber das fällt doch auch alles unter Fanservice so lange das für Teil 3 nicht noch relevant wird, denn das alles ist so lange her, dass es in der VLR-Zeit keine Bedeutung hat. Hier ist sie ebenso nur eine gesichtslose Statistin, die von jedem
anderen ersetzt werden hätte können. Klar, diese Leute durch No-Names zu ersetzen hätte wahrscheinlich nichts spannender gemacht, eher nochmal im Gegenteil, aber altbekannte Personen auf diese Art und Weise eingesetzt zu sehen war halt einfach enttäuschend.
Das ist jetzt ziemlich langes Genörgel über
etwas, das ich auch kürzer sagen hätte können: Durch das relativ lahme
Motiv für das dritte Nonary Game verkommen auch die Charaktere teilweise
zu irrelevanten Rollen. Es geht ja darum, Sigma und Phi
zu schulen und alle anderen werden im Endeffekt dafür benutzt. Damit werden diese
beiden auf ein Podest gehoben, dem die anderen nicht folgen können und
das hinterlässt einen unguten Nachgeschmack. Selbst die, die für den
Verlauf wichtig sind wie Dio und K, wirken am
Ende wieder blass. Weil beim Radical-6
Zwischenfall, den es als großen Plottwist zu verhindern gilt, niemand von ihnen mehr wirklich
relevant sein wird. Es geht auch gar nicht darum, ob sie im dritten Teil tatsächlich nicht dabei sind, sondern nur um den Umstand, dass dieses Gefühl zu diesem Zeitpunkt eben einfach entsteht.
Die Charaktere an sich sind eigentlich gut
gelungen. Ich habe wahrscheinlich jeden von ihnen
mal gehasst und mal gemocht (außer Sigma und Luna, die ich immer mochte)– eigentlich aufgrund relativ realistischer
Verhaltensweisen. Da war eben nichts eindeutig schwarz
oder weiß, außer vielleicht bei Dio, der aber trotzdem als Konzept
total gut funktioniert. Gut gefallen hat mir auch, dass irgendwann das
Gefühl entstand, man würde die Gruppendynamik ein bisschen durchschauen.
Ich habe irgendwann Phi, K und Luna nur noch
„das Team“ genannt, weil ich mir sicher war, dass sie auf Sigmas Seite
standen und für Zeros Plan alle wichtig waren. Das hatte schon zur
Folge, dass ich eine gewisse Bindung zu ihnen aufgebaut habe. Beim Rest
habe ich mir aber sehr schwer getan.
Der Fokus auf bestimmten Charakteren ist in VLR
noch stärker als bei 999 und man verliert zwischendurch so manchen
Bezug, den man zu jemandem hatte, in einer anderen Route wieder. Das
wäre aber vielleicht ein kleineres Problem, wenn sich
eben nicht herausstellen würde, dass die Hälfte des Casts absolut
irrelevant ist - das Gefühl aus 999, dass am Ende alle gleichwertig sind, gibt es hier absolut gar nicht, ganz im Gegenteil. Zusätzlich dazu wird auch niemals geklärt, wer Phi
eigentlich ist, was in dem Moment, wo man das realisiert, auch ärgerlich ist. Nachdem schon
hinter Quark absolut nichts steckt und Alice jede
mysteriöse Aura genommen wurde, erfährt man nicht einmal etwas über den
Charakter, über den man wahrscheinlich das ganze Spiel über gerätselt
hat. Das ist einfach enttäuschend und verstärkt das Gefühl, dass man als
Spieler nichts erreicht hat – wenn man schon
niemanden retten konnte und alles nur zum Training ebenjener Person über sich ergehen
ließ, dann hätte so eine Information als Belohnung schon drinnen sein
können.
Aber immerhin darf man einen Blick darauf
werfen, was aus Akane wurde. Auch wenn ich sie als Charakter dann
überhaupt nicht mehr mochte, empfand ich es hier sicher als sehr gute
Entscheidung, sie auftreten zu lassen (und prinzipiell zu einem
zentralen
Thema zu machen).
Ich glaube, der dritte Teil kann vieles wieder gut machen, was „Virtue’s Last Reward“ verbockt hat, gerade bezüglich der inhaltlichen Geschehnisse. Wahrscheinlich sind viele Dinge, die dort vorenthalten wurden, aus einem Grund nicht in dem Spiel, aber das macht den zweiten Teil an sich leider nicht besser. Wenn der dritte allerdings gut wird, werde ich die Reihe als Ganzes auch gut finden und leichter über das schwächere VLR hinwegsehen können. Wie gesagt, eigentlich ist das Spiel nicht schlecht, aber das Ende zieht es schon runter, und der Vergleich mit dem Vorgänger für mich halt noch mehr, weil ich den so außergewöhnlich gut finde.
Die Entwickler haben deutlich erkennbar versucht, aus „Virtue’s Last Reward“ etwas Gutes zu machen, auch mit der richtigen Mischung aus Altem und Neuem. In der Praxis ist es leider dann nicht immer gut gelungen, viele Punkte wären aber leichter verschmerzbar, wenn es den tollen Vorgänger nicht gäbe. Zusätzlich möchte ich auch erwähnen, dass dem Erschaffer auch bestimmte Vorgaben gemacht wurden, die er so nicht vorgesehen hatte – so durfte das Spiel nicht mehr ganz so düster und gewaltträchtig wie 999 werden. Ich denke vieles an der Atmosphäre, die ich hier oft vermisst habe, ging auch aus diesem Grund verloren.
Auf jeden Fall freue ich mich auf den dritten Teil, weil die Qualität von beiden Teilen einfach einen richtig guten Abschluss verspricht. Ich bin trotz aller Kritikpunkte überzeugt, dass die Macher wieder ein wundervolles Spielerlebnis
kreieren werden.
PS.: Ich hätte auch noch Plotholes vergleichen können, die es in beiden Teilen natürlich gibt - da stehen sie sich wohl in nichts nach. Aber da gab es schon zwischen meinem Freund und mir hitzige Diskussionen darüber, in denen wir uns nicht ganz einig wurden, also lasse ich das. Da ist nun wirklich viel davon abhängig, ob man sich persönlich mit bestimmten Erklärungen oder Unsinnigkeiten abfinden kann oder nicht. :D
PS.: Ich hätte auch noch Plotholes vergleichen können, die es in beiden Teilen natürlich gibt - da stehen sie sich wohl in nichts nach. Aber da gab es schon zwischen meinem Freund und mir hitzige Diskussionen darüber, in denen wir uns nicht ganz einig wurden, also lasse ich das. Da ist nun wirklich viel davon abhängig, ob man sich persönlich mit bestimmten Erklärungen oder Unsinnigkeiten abfinden kann oder nicht. :D
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