Samstag, 3. Februar 2024

AI: The Somnium Files


Eigentlich hatte ich nie vor, AI: The Somnium Files zu spielen. Obwohl es ganz offensichtlich zu dem Genre an Spielen gehört, mit dem ich bisher noch nie enttäuscht wurde. Gleichzeitig hat es aber einen bestimmten Ruf, der mich einfach sehr abgeschreckt hat - ich möchte nicht einen mysteriösen Mordfall mit jemandem lösen, der von Pornoheften kurzzeitig Superkräfte erhält. Warum ich das dann jetzt trotzdem getan habe, hat einen einfachen Grund: Gruppenzwang. Oder FOMO. Oder ist das dasselbe?
Wichtige Personen haben mir das Spiel sehr vehement empfohlen, und dann habe ich mich natürlich darauf verlassen, dass da doch irgendwo etwas Gutes schlummern muss. Und das tut es auch. Aber es dauert ein bisschen. Böse Stimmen munkeln sogar, dass es eventuell fast das halbe Spiel über dauert, bis man plötzlich bemerkt, dass man die Charaktere doch irgendwie mag, und das Mysterium doch irgendwie etwas Spannendes hat. Und dann denkt man vielleicht noch so zu sich selbst, dass es eigentlich schon viel zu spät ist, und das Spiel sicher nicht mehr ungeschehen machen kann, wie albern manche Sachen einfach sind und dann - BAMM - ein grandioser Plottwist. Grandios.

Ja, und das war meine gesamte Spielerfahrung. AI: The Somnium Files ist sicher nicht mein Lieblingsspiel in dem Genre, aber es war zwischendurch so weit unten, dass ich nicht dachte, dass es sich wieder erholen kann, und dass ich es wirklich doch noch als gut empfinden kann. Und dass ich tatsächlich mit leichter Wehmut, Nostalgie und einem glücklichen Gefühl an das bescheuerte Tanzen im Epilog zurückdenke. :D 
Es gibt natürlich einige Gründe dafür, dass ich so gemischte Gefühle hatte, und diese sind nicht nur perverser Natur. ;0 
Grundsätzlich geht es ja um ein Murder Mystery, bei dem man davon ausgehen kann, dass es einige Plottwists mit leicht übernatürlichem Einschlag geben wird. Der Protagonist Date ist eine Art Mordermittler einer speziellen Abteilung - in dieser kann er mit Hilfe einer Maschine das Unterbewusstsein (oder Erinnerungen und Träume, eben "Somniums") anderer Menschen quasi betreten und dort nach Hinweisen suchen. An seiner Seite ist stets seine treue KI Aiba, die die meiste Zeit über als künstliches Auge dient, sich aber zumindest virtuell, und eben in den Somniums, auch materialisieren kann. Natürlich als "sexy Lady". ;0 
Wenn man in das Spiel einsteigt, arbeitet Date bereits seit 6 Jahren in dieser Abteilung, hat keine Erinnerungen an davor (natürlich gar nicht verdächtig) und wird nun in einen Mordfall verwickelt, der ihn persönlich betrifft. Nach und nach lernt man so die Umstände und Verbindungen kennen, in denen sich der Protagonist befindet, während man erst einmal wirklich Null bei den Ermittlungen weiterkommt. :D
Das Erzählmodell an sich ist eigentlich sehr gut, weil man beinahe nebenbei in die Welt und eben den Alltag von Date eingeführt wird, und die schließlich doch recht überschaubare Anzahl an wichtigen Charakteren wirklich kennenlernt. Die richtigen Enthüllungen und Twists finden erst statt, wenn man aus welchen Gründen auch immer bereits eine Bindung hergestellt hat.

Ich dachte allerdings lange Zeit lang, dass ich überhaupt keine Bindung herstellen können würde. Wie man es von so einem Titel erwarten würde, gibt es mehrere Routen, und meine erste war für mich extrem enttäuschend. Und auch dann hat es noch eine Weile gedauert, bis ich das Gefühl hatte, auch irgendetwas emotional an mich heranlassen zu können.
Meine erste Route war die "Iris Route", die einfach ständig absolut albern ist. Ich meine nicht im humoristischen Sinne albern, obwohl das natürlich auch oft vorkam, ich meine in Wahrheit eigentlich "dämlich". Dabei waren die Perversitäten von ungefähr allen männlichen Charakteren, die peinlichen Momente, die aber völlig ernst gemeint waren (das Tanztalent von Iris zum Beispiel), und die komischen Action-Szenen, in denen Gegner mit einem Pornoheft und Unterwäsche abgelenkt werden, aber nur ein Teil des Ganzen. Sicher musste ich über all das vorrangig mit den Augen rollen und fand das nicht so prickelnd, aber rückblickend gesehen hatte ich doch ein größeres Hauptproblem: Unglaubwürdig konstruierte Situationen, um die Geschichte in eine bestimmte Richtung zu lenken. Gerade in diesem Genre, das ich ja schon sehr verehre, sind mir nachvollziehbare Abläufe von Ereignissen wirklich wichtig - da geht es nicht einmal darum, ob etwas hanebüchen ist oder nicht, denn das kommt gerade in diesem Genre ja wohl ständig vor. Es geht darum, wie mir diese hanebüchene Albernheit präsentiert und verkauft wird.
Mal ein paar Beispiele: Ich fand es extrem unglaubwürdig, dass Date Iris zu Tatorten mitnimmt, nur weil sie ein gestelltes Video von ihm gemacht hat, wie er sie einfach irgendwo stehen lässt, während sie ihn anfleht, bei ihm zu bleiben, weil sie ohne ihn nicht leben kann. Erstens, aber das mag ein japanisches Ding sein, warum ist das überhaupt in irgendeiner Art und Weise schlimm? Also, er hat sie jetzt nicht geschlagen, er hat nicht mit einer anderen vor ihr rumgemacht, er stand einfach nur mit dem Rücken zu ihr - ist das wirklich ein Ding, für das die "Öffentlichkeit" ihn so furchtbar verurteilen würde? Und zweitens, warum genau würde ihn das interessieren?? Selbst wenn es so kommen würde, passiert das in der Internet-Bubble, mit der Date überhaupt nichts zu tun hat? Und ich als professioneller Detektiv kann sagen, dass es wirklich absolut nicht okay ist, Zivilisten an einen Tatort zu lassen, und es das doch nun wirklich in keiner Weise rechtfertigt.
Dann die Szene im Kühllager. Es wird niemals jemals im ganzen Spiel gesagt (auch danach nicht mehr), dass bei Aiba der Akku, oder was auch immer, ausgehen kann. Aber praktischerweise passiert genau das, wenn Date eine Leiche entdeckt, die nachher wieder verschwunden ist - sodass man nicht nur daran zweifeln muss, was er gesehen haben könnte, sondern natürlich auch nicht gleich erfährt, dass es sich bei der toten Frau nicht um Iris handelt, sondern um ein Opfer, das da schon jahrelang versteckt wurde. Es wird übrigens auch niemals gesagt, dass die AI mal aufladen müsste oder so, das alleine hätte mir ja wahrscheinlich schon genügt.

Solche Dinge verurteile ich sehr, und diese haben mir manchmal schon echt so einiges verdorben. Später kommt sowas glücklicherweise aber nicht mehr so oft vor, weil man ja gegen Ende hin immer weniger zu verheimlichen hat, und die wirklich wichtigen Plottwists werden im Spielverlauf auch tatsächlich sehr gut und sinnvoll angedeutet. Gerade alles, was mit den Bodyswitches zu tun hatte, war in jedem Moment offensichtlich sehr durchdacht und stets präsent. Also sobald man wusste, wann wer in welchem Körper war (was manchmal unübersichtlich werden konnte, aber nie völlig widersinnig :D), konnte man mindestens mal tatsächlich auch sagen: "Ja stimmt, die Person hat sich definitiv anders verhalten", und manchmal hatte man schon vorher so ein Gefühl. Und deshalb ist auch der Twist, dass Date ursprünglich im Körper #89 war, und alles was damit zusammenhängt, so unfassbar gut gelungen. In den ist wahrscheinlich das größte Kontingent an Gedanken geflossen, wie man das alles irgendwie sinnvoll erklären, aber auch schon foreshadowen, kann. :D Es war tatsächlich erst dieser Moment, wo ich wirklich dann völlig überzeugt war, dass sich meine Spielzeit geloht hatte, und alles danach konnte ich auf einmal auch viel leichter verschmerzen. Wie gesagt, selbst der Tanz am Ende hat dann einfach nur Spaß gemacht (ich meine sogar der Noname Taxifahrer hat mitgetanzt!!!).
Gleichzeitig möchte ich den zweiten Teil hier aber definitiv nicht spielen, weil ich vor allem mit Dates Bodyswitch halt einige Kontinuitätsprobleme sehe. Fand die Lüge für die "Öffentlichkeit", dass er eine Gesichts-OP hatte, und dann zufällig wie ein verurteilter Verbrecher aussah, wirklich extrem lame, und dass alle das auch so hinnahmen sehr fragwürdig, aber zu dem Zeitpunkt hat es mich auch nicht mehr wirklich interessiert. Wichtig war nur, dass Date wieder wie er selbst aussah und alles gut ausgegangen ist!!! xD
Aber in einer Fortsetzung würde mich jeder Bruch mit dieser Kontinuität stören, aber auch jeder Versuch, sie fortzuführen. Weil die Erklärung halt einfach dumm ist, und es sich das Spiel ja offensichtlich über sehr weite Strecken mit solchen Dingen - also in Bereichen wo es nicht höchst relevant war - ja auch immer nur sehr einfach gemacht hat.


Ansonsten muss ich aber noch kurz einwerfen, dass es zwar bis zu Dates wahrer Vergangenheit gedauert hat, dass ich wirklich Begeisterung zeigen konnte, ich aber durchaus schon vorher deutlich mehr Freude mit dem Spiel hatte, als über die ersten 10 Stunden. Dadurch, dass die einzelnen Routen sich hauptsächlich auf einzelne Charaktere konzentrieren, konnte man dann schon den meisten wirklich irgendwann etwas abgewinnen - selbst denen, die zuerst sehr problematisch wirken, wie Ota zum Beispiel. Seine Route war dann sogar eine der wenigen Gelegenheiten, wo ich ein bisschen weinen musste, nämlich beim Somnium seiner Mutter. Mayumi ist demnach wohl eindeutig mein Lieblingscharakter, gefolgt von Moma - fragt mich bitte nicht, wie das zusammen funktionieren kann (und ob es überhaupt Sinn macht, wo Moma doch mit einer der perversesten Charaktere ist). xD Aber auch den anderen konnte ich mehr und mehr abgewinnen, weil die meisten Personen tatsächlich auch ihre guten Seiten haben und jeder von ihnen auch Abseits jeglicher Albernheit einmal glänzen kann. So fand ich den Umgang von Renju und vor allem Shoko mit ihrer Tochter Mizuki sehr schlimm und konnte daraufhin sie selbst natürlich um einiges besser verstehen. Richtig toll fand ich auch, dass man eigentlich fast nur so am Rande erfährt, dass Pewter und Renju offenbar eine ernsthafte Beziehung hatten. Und ich habe tatsächlich den Moment gefeiert, als ausgerechnet Ota, Mizuki und Moma sich zusammengetan haben, um Iris zu retten. xD
Also doch, es gibt durchaus Gründe, den Cast liebzugewinnen, und wenn man über manche Dinge besser hinwegsehen kann als ich, oder vielleicht sogar andere Leute hat, mit denen man sich gemeinsam ein bisschen hochhypen kann, dann darf man AI Somnium Files durchaus auch lieben. Selbst ich habe mich am Ende noch um einiges mehr mitreißen lassen, als ich je noch geglaubt hätte, und das ist irgendwie schon ganz cool.


Zum Schluss muss ich natürlich noch auf die Somniums selbst eingehen, die neben den schlechten Schusseinlagen (QTEs, bis irgendetwas mit einem Pornomagazin passiert) das einzige Element sind, bei dem man aus dem Visual Novel (oder minimal auch Adventure) Genre ausbricht. Dabei dringt man eben ins Unterbewusstsein einer Person ein, und steuert Aiba tatsächlich durch eine 3D-Welt. Bis auf die letzten zwei, drei Somniums, die einfach in relativ uninteressanten und anstrengenden Locations waren, war ich eigentlich von Anfang an ein Fan dieser Mechanik. Eigentlich geht es nur darum, verschiedene Aktionen mit einer Hand voll Items auszuführen, ohne dabei ein Zeitlimit zu überschreiten, und es ist alles tatsächlich relativ undurchsichtig. In diesen "Traumwelten" gelten keine konventionellen Regeln der Physik oder sowas, und eigentlich muss man bei einigen Sachen auch einfach herumprobieren - obwohl ich sagen muss, dass ich schon relativ oft das Gefühl hatte, dass man oft intuitiv auf das Richtige kommt, und es natürlich auch subtile Hinweise gibt.
Das einzige, was ich vielleicht bemängeln würde, wäre die Tatsache, dass hier auch entschieden wird, auf welcher Route man landet. Und das ist etwas, was man wirklich unmöglich vorausahnen kann. Wenn ich die Luftballons aus dem Käfig befreie, bin ich bei Iris, wenn ich das Foto hervorhole, bin ich bei Ota. Okay, also, ja gut. xD Trotzdem empfand ich die Undurchsichtigkeit in dieser Hinsicht nicht wirklich schlimm. Denn grundsätzlich sind die Routen hier einfach sehr dankbar aufgebaut, weil sie relativ kurzweilig sind. Zwar muss man sie fürs "True Ending" des Spiels wieder alle definitiv durchspielen, aber genau genommen gibt es nur zwei lange Routen, der Rest spaltet sich von diesen erst später ab, und das fühlt sich wirklich nicht ganz so extrem danach an (wie in manch anderen Vertretern des Genres), dass man alles akribisch "abarbeitet". Für mich ging das alles irgendwie recht flott, außer vielleicht eben meine erste, die Iris Route, die aber meiner Meinung nach eigentlich auch die schlechteste ist.

Naja, und das war es also. Ich bin sehr zwiegespalten - über manches immer noch begeistert, über einiges immer noch verärgert. Deshalb schreibe ich auch so wenig, weil es für mich so schwierig ist, wirklich eine klare Linie zwischen Kritik und Lob zu finden. Über die dummen Sachen will ich teilweise gar nicht berichten (ugh, wie Ota von der Meerjungfrau gefüttert wird), und die positiven sind viel mehr ein Gefühl von mir, als dass ich sie tatsächlich wirklich gut begründen könnte. Aber ich glaube, dass ich zumindest die Charaktere und das Zusammengehörigkeitsgefühl am Ende schon sehr lange in guter Erinnerung behalten werde. Wäre einer dieser Leute, sagen wir mal, ein Kanji für mich, würde ich das Spiel vielleicht genau um den Tacken mehr mögen, den es bräuchte, um wirklich zu meinen Lieblingen zu gehören. So ist es aber dann doch eventuell das bisher tendenziell irrelevanteste Spiel dieses Genres für mi- WIE BITTE ICH VERSTEHE NICHTS, ICH HÖRE MIR "INVINCIBLE RAINBOW ARROW" IN DER "A-SET AND HER FANTASTIC FRIENDS" VARIANTE GERADE SEHR LAUT AN! :3


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