Samstag, 9. September 2023

Raging Loop


Ich habe in meinem Leben schon wirklich viele Runden des Werwolf-Spiels gespielt - online (in schriftlicher Form) und auch im Real Life. Manchmal mehrere Runden hintereinander, manchmal Runden, die 5 Stunden gedauert haben, manchmal Runden mit seitenlangem Charakter-Building, manchmal Runden mit einem veränderten Setting. Und genauso fühlte sich Raging Loop für mich über weite Strecken des Spiels an. Ich habe mich in diese Zeiten zurückversetzt gefühlt, und ich habe es geliebt. 
Das Spiel ist eine Mystery Visual Novel mit Entscheidungen, "Zeitreisen" und einem Flowchart - also quasi mit allen Elementen, die ich sowieso mag. Die Werwolfs-Spielmechanik ist dabei ein Faktor, der das Ganze wirklich auffrischt, zumindest wenn man sich erst einmal mitten ins Geschehen vorkämpft - denn das ganze Prinzip einer Werwolfsrunde wird wirklich im kleinsten Detail wiederholt, und schier ewig erklärt. Ich persönlich mochte das sehr, weil ich halt mit dem ganzen Thema was anfangen kann und neugierig darauf war, wie es für so eine Visual Novel genau umgesetzt werden würde. Außerdem gibt es mythologische Hintergründe für die ganze Sache, die ich auch spannend fand. Ich kann mir aber vorstellen, dass die hohe Menge an Exposition (auch später kommt dies stets wieder vor) manche ermüden könnte. Zum Glück gibt es aber ja auch noch haufenweise andere Gründe, Raging Loop zu mögen. 

Grundsätzlich dreht sich das Spiel um Hauptcharakter Haruaki Fusaishi, der aufgrund der Trennung von seiner Ex-Freundin eine Motorradtour ins Unbekannte macht, und durch verzwickte Umstände in einem extrem abgeschiedenem Dorf landet. Dort gibt es nur wenige Einwohner, feste Glaubensgrundsätze und ein großes Misstrauen gegen Außenseiter. All diese Umstände haben so ihre Gründe, die man nach und nach erfährt – es bleibt einem auch keine andere Wahl, denn ein Entkommen aus Yasumizu ist unmöglich, sobald „Der Nebel“ *donnergrollen* auftaucht. Damit wird nämlich das „Feast of the Yomi-Purge“ eingeleitet, eben das eigentlich Werwolfsspiel – dessen Regeln ich im Gegensatz zum Spiel übrigens nicht erklären werde, also Nichtkenner werden keine Ahnung haben, wovon genau ich schreibe.
Über den gesamten Spielverlauf erlebt man drei ganze Werwolfsrunden mit, in denen die Rollen unterschiedlich verteilt sind und alles komplett anders verläuft.
Das ist natürlich nur mit dem namensgebenden „Loop“ möglich. Haruaki kann, augenscheinlich wenn er stirbt, in der Zeitlinie einfach wieder von vorne anfangen, und wenn er bestimmte Dinge im Verlauf dann verändert, ändert sich auch alles Weitere. Was er nicht verhindern kann, ist, dass der Nebel (*donnergrollen*) kommt und das Feast überhaupt stattfindet, und er kann auch sein Looping an sich nicht steuern. Wenn er tot ist, wird er irgendwann wieder an immer denselben Anfangspunkt zurückverfrachtet und muss alle Ereignisse auch von Anfang an rekonstruieren, um an einem bestimmten Punkt wieder weiterzumachen – für den Spieler ist dies natürlich effektiv nicht notwendig, wir springen angenehmerweise schon einfach auf dem praktischen Flowchart herum, wie es uns beliebt.
Es gibt eine Menge kleiner Bad Endings, jeweils ein Ending am Ende der drei „Hauptrouten“ (ebenfalls bad) und dann natürlich ein True Ending. Der Ablauf ist hierbei sehr linear – da täuscht das große, verzweigte Flowchart – denn man bekommt für verschiedene Ausgänge Schlüssel, und bis auf sehr kleine Ausnahmen kann man damit immer nur einen bestimmten Weg freischalten. Wieder eine persönliche Geschmackssache: Ich fand das super, weil es hier wenig Verwirrungen gab, und ich mich auch nie fragen musste, ob ich dramaturgisch gesehen vielleicht eine falsche Wahl treffe.


Ganz allgemein gesprochen sind die drei Hauptrouten eigentlich ein ziemlicher Geniestreich. Bei der ersten macht Haruaki gar nicht beim ganzen Werwolfskram mit, und ist nur Beobachter. Das ist zwar sicher der unspannendste der drei Wege, er ist für den Anfang aber durchaus in Ordnung, um sich in der Welt und im Spielprinzip einzufinden. Trotz der eigenen Nichtteilnahme drehen sich die Gedanken des Protagonisten um Taktiken und Überlegungen, während man selbst die Charaktere ein bisschen besser kennenlernt (ihre Abstimmungen, wer am Tag zu hängen ist, bekommt man als Spieler mit). Allerdings sterben da auch so schnell so viele Leute, dass man Vorlieben (also vor allem bei den Charakteren) wirklich noch nicht festlegen sollte. Gleichzeitig unterscheiden sich auch die Persönlichkeiten der Leute immer ein bisschen, je nachdem welche Rolle sie haben. Dadurch hatte ich dann im Lauf der Geschichte wirklich das Gefühl, dass sie alle relativ vielschichtige Menschen sind, was mir sehr gefallen hat. Dazu gleich noch mehr.
Wenn man diese erste Phase „überstanden“ hat, geht es erst richtig ans Eingemachte. Haruaki verändert seine Ankunft im Dorf und darf dadurch schließlich beim „Feast“ mitmachen, und er wird quasi der „Seher“, also die Figur mit eigentlich der wichtigsten Fähigkeit für die Menschen in einem Werwolfsspiel. Durch seine Teilnahme wird das Feast für die Nicht-Wölfe nicht nur erfolgreicher, sondern für den Spieler deutlich aufregender, und es gibt weitaus mehr Interaktionsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Personen. Trotzdem geht auch dieses Spektakel nicht gut aus – auch wenn man kurzzeitig ein fake Good-Ending aufgetischt bekommt – und Haruaki verändert erneut ein paar Details am Beginn der Geschichte. Und damit wird er dann zum Wolf.


Also ich hatte das Spiel schon im bisherigen Verlauf ziemlich lieben gelernt, aber das hat es quasi besiegelt: Raging Loop ist ein ernstzunehmender Kandidat für mein Game of the Year.
Ich meine, mehr als alles andere hatte ich eigentlich Angst. Weil ich nun der Gegner all dieser Leute war, die ich zu großen Teilen schon ziemlich ins Herz geschlossen hatte. Aber genauso wie unser Protagonist wurde ich es schrittweise immer mehr gewöhnt, der „Bösewicht“ zu sein, und habe die klügsten Köpfe der Menschen mehr und mehr als Feinde wahrgenommen. Das war schon eine sehr coole Erfahrung.
Deshalb sind auch der zweite und dritte Story-Strang das eigentliche Herzstück von Raging Loop. Danach wird alles ein bisschen anders, und man sammelt hauptsächlich Informationen aus unterschiedlichen Routen, um das übergeordnete Mysterium zu lösen und die Bewohner von Yasumizu  zu retten. Zumindest die meisten davon.
Der Weg zum True Ending war für mich persönlich dann auch nochmal ziemlich cool, aber es gibt hier ein paar Kleinigkeiten, die seltsam wirken. Ein Charakter stirbt, weil er stolpert, und ein anderes Mal geht an einem kritischen Moment das Licht aus, ohne dass je rauskommt, warum das praktischerweise passiert ist. Dann kommen auch noch Plottwists, bei denen man als Spieler sich so ein bisschen veräppelt vorkommt – ich kann die Gedanken des Protagonisten also lesen, aber nur die, die ich auch lesen soll. In Wahrheit hat er noch viel mehr, was er zu verbergen hat!!! o.ô
Naja, es gibt nach dem Hauptspiel auch noch einen Revelation Mode, in denen man all dies und noch viel mehr nachholen kann! Ich glaube, durch die ohnehin schon außerordentlichen Textmengen hat man auf ein paar Auflösungen während des Spiels verzichtet, um den Fluss nicht zu stören - und noch viel mehr, um relevante Plottwist nicht schon zu früh vorweg zu nehmen. Bei vielen Szenen hat mich das nicht gestört, ich fand es zum Beispiel echt spannend, in den Nächten die Besprechungen aller Wölfe mitzuerleben, nachdem ich das ganze Spiel schon durchhatte. Gleichzeitig ist aber trotzdem fraglich, ob man sich die Arbeit machen will, dafür (wenn auch im Speed-Modus) alles komplett nochmal durchzukauen. Und man weiß im vorhinein ja auch nicht unbedingt (außer man hört sich ständig die Kommentare aus der "Hint" Rubrik an), dass man dadurch noch zwei Comedy-Enden findet, von denen sich eines für mich echt richtig gelohnt hat.
Mir selbst war es also schon wichtig genug, das alles noch komplett mitzunehmen, aber ich fand gleichzeitig auch nicht, dass das Ende nicht auch so funktioniert hätte – für mich zumindest. Ich war schon so in der Welt gefangen, dass ich ein paar seltsame Beigeschmäcke halbwegs verkraften konnte. Das lag zu einem großen Teil einfach nur an den Charakteren.


Von Anfang an hat mich der Cast ziemlich überrascht, da es sich hierbei nicht um die typische Gruppe Teenager, oder die typische Gruppe aus coolen und größtenteils „hübsch gezeichneten“ Leuten handelt, die man sonst aus solchen Spielen kennt. In Yasumizu gibt es alles – sehr alte Menschen, alte Menschen, mittlere Menschen, junge Menschen, Kinder,… und sie haben Alterflecken oder ein faltiges Gesicht, eine krumme Nase oder einfach sehr viel Gewicht,… Zugegeben, die meisten Frauen kommen da besser weg, sind aber auch aus allen möglichen Altersgruppen und haben auch alle mal ihre hässlichen Seiten (vor allem wenn sie durchdrehen oder Wölfe sind).
Richtig beeindruckt war ich aber von den Charaktereigenschaften der einzelnen Figuren. Wie schon angedeutet verhalten sie sich alle unterschiedlich, je nachdem welche Rolle sie haben – gleichzeitig bleiben sie aber trotzdem weitestgehend sie selbst. Manche Personen scheinen auf den ersten Blick unsympathisch, schaffen es aber in einer der unterschiedlichen Situationen während der ganzen Feasts, über sich hinauszuwachsen oder völlig zu verfallen.
Ein Yasunaga Oribe ist als Wolf und als Mensch ein überaus kluger, überlegter junger Mann, seine Energien werden aber für die unterschiedlichen Seiten auch unterschiedlich eingesetzt (und jedes Mal sehr erfolgreich). Seine Gefühle für Chiemi sind immer vorhanden, die Komplexe seiner Mutter gegenüber auch, aber all das nimmt je nach Route eine leicht andere Form an.

Also zusammengefasst kann man sagen, dass man den Kern jeder Person kennenlernt, aber unterschiedliche Facetten davon bekommt, und das macht fast jeden einzelnen Charakter zu einem interessanten Individuum. Ich muss auch sagen, dass ich am Ende ALLE richtig ins Herz geschlossen hatte, außer dem Old Wolf Guy, aber den sollte man auch definitiv nicht mögen. Aber selbst Leute wie Kanzo oder (vor allem) Nosato, die wirklich schwierige Persönlichkeiten haben, hatten ihre Momente, sodass ich sie am Ende auch wirklich mochte. Meine Lieblingscharaktere waren definitiv Mocchi, und leider auch Rikako. Ihre Beziehung zu Haruaki fand ich einfach so schön, deshalb war es schon schade, dass sie nicht wirklich die war, die sie zu sein vorgab. Aber klar, es musste ja das obvious Love Interest gewinnen, was natürlich von Anfang an Chiemi war. Umso mehr hat mir hier aber der Revelation Mode geholfen, in dem Rikakos Gedanken sich sehr oft darum gedreht haben, dass sie wirklich Gefühle für Haruaki hat, ganz egal was ihr eigentlich perfider Plan ist. Deshalb ist das auch definitiv meine Lieblings-Route, für mich waren diese beiden einfach das beste Paar. Und deshalb mag ich auch das eine Comedy-Ending so, wo Haruaki die Zerstörung der Welt in Kauf nimmt, um mit Rikako zusammen zu sein. xD
Allgemein waren die Romanzen aber eine Sache, die ich am Spiel manchmal ein wenig befremdlich fand. Haruaki bewertet die Frauen, die ihn umgeben, sehr schnell nach ihrem Aussehen und flirtet eigentlich mit allen – was bei ihnen allen eigentlich dazu führt, dass sie sich schwer verlieben. Da ist es völlig egal, ob das ein Gott, ein Bösewicht oder sogar ein kleines Kind ist. o.ô
Manchmal fühlten sich das Einstreuen dieser Beziehungsthemen und die Gedanken dazu etwas fehl am Platz an. Dabei ist Haruaki sonst ein sehr, sehr toller Protagonist. Er ist weder neutral noch langweilig und hat eine eindeutige Agenda, manchmal ist er ein bisschen verrückt und abgebrüht, dabei aber trotzdem klug und einfach komplett unnervig. Gerade für dieses Genre ist er für mich ein ziemlich herausstechender Spielercharakter, den ich absolut gut gelungen finde. Also äh... wahrscheinlich hätte ich mich auch in ihn verliebt, wenn er mich angemacht hätte. xD

Allgemein glaube ich jedenfalls, durchaus einige Schwächen in der Darstellung, aber auch der Auflösung der Geschichte zu erkennen, nur konnte ich das alles verkraften. Weil eben der Protagonist so cool, die Charaktere so interessant, das Spielprinzip so spannend und die Mythologie so einnehmend waren. Im Endeffekt hat Raging Loop vielleicht sogar mehr Schwächen als die meisten anderen Mystery-Games, die ich bisher gespielt habe, aber das ändert nichts an meinen Gefühlen beim Spielen. Ich hatte manchmal richtig Herzklopfen, und musste hin und wieder die Switch weglegen, um eine Entscheidung zu treffen oder einfach mal nur durchzuatmen. Solche Emotionen habe ich bei Spielen einfach wirklich höchst selten, und das sind dann die Spiele, die ich auch mit 5 Sternen bewerte. Und wenn ich mich an manche Szenen zurückerinnere, oder an das Prayer to Shin'nai denke (während der restliche Soundtrack relativ unspektakulär ist), bekomme ich schon ein bisschen Gänsehaut.
Also empfehlen würde ich Raging Loop auf jeden Fall. Es ist frisch genug, um Liebhabern des Genres sicher Spaß zu machen - ob diese Leute dann auch mit dem Ending, den horny girls oder den Lücken in der Auflösung zurecht kommen, ist ja nicht mein Problem. ;0

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