Dienstag, 12. Juni 2012

Adventure-Tipp: Still Life



Adventures gibt es viele, vor allem solche, in denen man einen Kriminalfall lösen kann. Zumindest mir kommt es so vor, als wären seit ein paar Jahren die noname-Titel, in denen man einen Mordfall lösen muss, und deren Covers sich alle ziemlich gleichen, wie Pilze aus dem Boden geschossen. Dies war einer der Gründe, warum mich diese Richtung nie so interessiert hat - ich wusste nicht, was gut sein hätte können oder was einfach billiger Rätselplunder war.

Mein Freund und ich wollten schon länger mal ein Adventure gemeinsam spielen, und hatten erst mit Titeln wie "Black Mirror" geliebäugelt. Nach dem Desaster mit Machinarium wollte ich auf jeden Fall nichts in diese Richtung (also kein "Botanicula" ;) ), und auf etwas Humoristisches hatten wir auch keine Lust. Wir wollten etwas Ernstes, am besten mit gruseligen Einschlägen.
Wir fanden dann vor ein paar Tagen "Still Life" auf GOG und Steam. Irgendwo stand, dass dies von denselben Machern wie "Syberia" sein sollte (Microids) , und da ich damit gute Erfahrungen gemacht hatte, und auch die Screens ganz nett wirkten, besorgten wir uns also das. Es war eine wirklich gute Entscheidung.

Still Life lebt von seiner Geschichte und Atmosphäre. Es geht um eine mysteriöse Mordserie, bei der Frauen ertränkt und danach noch verstümmelt werden. Grundsätzlich kein besonders aufregender Start, vor allem wenn man dann auch noch die Memoiren des Großvaters der Hauptfigur findet - dieser hat ca. 70 Jahre zuvor an einem ähnlichen Mordfall gearbeitet, bei dem nach der Reihe Prostituierte in Prag zur Strecke gebracht wurden. Wirkt geklaut und etwas zu sehr nach Jack the Ripper? Das Gefühl legt sich schnell.
Eine der Statuen
Man spielt abwechselnd mit der FBI-Ermittlerin Victoria McPherson in der Gegenwart in Californien und mit ihrem Großvater Gus in der Vergangenheit in Prag. Beides reißt einen mit, und auch wenn jedes Wechseln der Zeiten erst einmal ein wenig befremdlich ist, fühlt man sich irgendwann in beiden Ebenen wie zu Hause. Alleine die Schauplätze und die Musik untermalen das Geschehen auf eine einzigartige Art und Weise. Nach kurzer Zeit ist man von einer Spannung gepackt, die einen bis zum Ende nicht mehr loslässt, und auf dem Weg dort hin erwarten einen einige Überraschungen. Das Spiel überlässt nichts dem Zufall - viele Kleinigkeiten, die Anfangs unwichtig wirken, fügen sich immer mehr zu einer großartigen Geschichte zusammen, und man entdeckt als Spieler an vielen Orten Hinweise, die einem Gänsehaut bescheren.
Neben der Spannung und dem tollen Spielgefühl sind auch die Rätsel noch lobenswert zu erwähnen. Es gibt zahlreiche Aufgaben zu bewältigen (nicht zu leicht, aber auch nicht frustrierend), die teilweise richtig kreativ sind und hervorragend in die Spielewelt integriert wurden. Da gibt man nicht einfach irgendwelchen random-Statuen Gegenstände, um eine geheime Tür zu öffnen. Man gibt vielmehr Statuen, die Charaktere repräsentieren, Gegenstände, die zu deren Eigenschaften passen. Da steckt eine Hintergrundgeschichte dahinter, ein Grund, und so sind eigentlich alle Rätsel aufgebaut. Nichts wirkt da fehl am Platze oder bloß eingebaut, um die Spielzeit zu strecken. Also, mal abgesehen von den Laufwegen.

Womit wir auch bei den negativen Punkten wären, die dem Spielspaß eigentlich kaum Abbruch verleihen. Es gibt viele Screens, in denen man so gut wie nichts machen muss. Einige werden für genau eine Aktion im gesamten Spiel gebraucht, müssen aber immer wieder durchlaufen werden. Ganz extrem ist die Sache an einem Tatort, der mit einer Galerie verbunden ist. Per Klick auf eine Karte gelangt man zur Straße vor der Galerie. Um zum Tatort zu kommen muss man nochmal zwei Screens durchlaufen, in denen man nichts tun kann, und dies jedes Mal wieder. Würden die Charaktere sich etwas kluger fortbewegen, ginge dies vielleicht auch etwas schneller. Aber nicht selten haben wir einen Ausgang angeklickt, um den Screen direkt zu überqueren, und mussten dann nochmal anders klicken, um den Charakter um irgendein Hindernis zu lotsen, das gar nicht offensichtlich im Weg stand. Das war seltsam. Aber immerhin wurden keine Treppenanimationen gezeigt. ;D
Allgemein ist die Technik etwas gewöhnungsbedürftig. Die Charaktere wirken oft unpassend in den schönen Umgebungen und bewegen sich manchmal sehr merkwürdig. Auch die Synchronstimmen (auf Deutsch wohlgemerkt) sind teilweise arg gewöhnungbedürftig. Hin und wieder schwankt da auch die Qualität, Victoria klingt zum Beispiel die meiste Zeit über glaubwürdig, hat aber gerade Anfangs einige Sätze, die vom Klang her total anders und unpassend wirken.
Ein einziger Schwachpunkt lässt sich leider auch in der Story finden: Sie wird nicht abgeschlossen.
Man findet heraus, wer die Prostituierten in Prag getötet hat, und wie diese Sache zu einem Ende gebracht wurde (und der Teil hat es echt in sich), aber man wird nicht erfahren, wer in der Gegenwart sein mörderisches Unwesen treibt. Victoria erschießt den Täter, aber seine Leiche wird niemals gefunden, und sein Gesicht unter der Maske niemals gesehen. Um dieses Rätsel zu lösen, muss man also wohl oder übel Teil 2 beschaffen. Und ob der jedermanns Fall ist, kann ich nicht sagen. Wir haben ihn schon angespielt und mussten uns erst einmal über komische Storylücken und eine noch schlechtere Technik wundern (ja, Treppen werden nun wieder im Schneckentempo bestiegen! o/ Das Fortbewegen im 3D-Raum ist auch gewöhnungsbedürftig). Trotzdem hat die Geschichte nichts von ihrer Spannung eingebüßt, und wir werden auf jeden Fall bei meinem nächsten Besuch bei meinem Freund weiter machen.

Ohne schlechtes Gewissen würde ich Still Life wirklich jedem empfehlen. Es ist aber bestimmt nichts für ein jüngeres Publikum, es geht neben Mord auch um Prostitution und SM-Clubs, und man wirft nicht nur ein Mal einen sehr genauen Blick auf die unschön zugerichteten Leichen.
Ich muss zugeben, dass ich davor noch kein Krimi-Adventure gespielt habe und keine Vergleiche ziehen kann, aber mich hat das Spiel gefesselt und begeistert. Die Syberia-Macher verstehen ihr Handwerk einfach, und man merkt auch diesem Werk deutlich die Handschrift dieser Entwickler an. Warum Still Life relativ unbekannt ist, kann ich mir nicht erklären, aber vielleicht war es für 2005, als es erschien, technisch einfach schon zu schwach. Außerdem war das Point'n'Click Adventure zu dieser Zeit vielleicht auch nicht das beliebteste Genre.
Übrigens basiert das Spiel auf dem vielleicht etwas bekannterem Adventure "Post Mortem" vom selben Entwicklerstudio, das sich um andere Fälle von Gus McPherson dreht. Wem also dieses gefallen hat, der wird Still Life genauso mögen.

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