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Mittwoch, 21. Juni 2023
The Raven Remastered
Ich hatte mal wieder Lust auf ein richtig schönes Adventure Game. Mit "The Raven Remastered", das eine verbesserte Version des 2013 erschienenen Spiels "The Raven - Legacy of a Masterthief" ist, habe ich zumindest eine nette Detektiv-Geschichte bekommen. Der "Adventure"-Anteil ist zwar definitiv da, aber die Rätsel sind ziemlich straightforward und oft recht simpel. Ich hatte aber das Gefühl, dass dies nicht unbedingt immer ein Mangel an Ideen gewesen wäre, sondern eher zu Gunsten des Plots so gestaltet wurde. Denn dramaturgisch gesehen war ich eigentlich sehr positiv überrascht von dem Ganzen. Inspiriert ist die Story definitiv von Agatha Christie-Romanen - immerhin spielt ein Teil des Spiels im Orient-Express, aber auch in einem Kreuzschiff Richtung Kairo, und schließlich auch dort. Außerdem ist der Protagonist ein älterer Herr, der zwar kein belgischer Detektiv, sondern ein schweizer Polizist ist, aber so ein bisschen ähnlich fühlt sich das Ganze schon an. Für mich aber in positivstem Sinn!
Es geht in The Raven nicht nur um die augenscheinliche Rückkehr eines Meisterdetektivs, der es auf die wertvollsten Diamanten überhaupt abgesehen hat, sondern auch um Mord, Nazis (ja, ich war auch überrascht) und lauter Menschen, die alle nicht sind, was sie zu sein scheinen.
Mit Constable Zellner, eben dem älteren Herrn bzw. Polizist, erlebt man die Reise des "Auge des Sphinx" von Zürich bis Kairo hautnah mit. Beziehungsweise des verbliebenen Auges, denn es gibt zwei, und eines konnte der Raven schon im Spielintro stibitzen. Es wurden für den zweiten Diamanten außerordentliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen - Inpector Legrand, der Mann, der den vor Jahren berühmten Raven geschnappt und erschossen hatte, und nun davon ausgeht, dass er damals den Falschen erwischt hatte, kümmert sich persönlich um die Überwachung des Edelsteins. Er stellt dabei einige Fallen, streut falsche Informationen und betreibt einiges an Aufwand, um das Auge nicht nur zu schützen, sondern den Dieb erneut zu entlarven. Zellner muss sich schon regelrecht aufdrängen, um dabei helfen zu dürfen, beweist sich aber ein ums andere Mal durch seinen Mut und seine Beharrlichkeit. Er rettet dabei ein Kind, klärt einen Mord auf und kommt dabei mehr als nur einmal beinahe ums Leben. In der Geschichte passiert wirklich dauernd etwas, da ist es nur umso notwendiger, dafür die Rätsel ein bisschen gemächlicher zu gestalten.
Cool daran finde ich, dass das Inventar eines Charakters kein bodenloser Beutel ist, sondern wirklich genau das getragen werden kann, was noch in den Rahmen des Möglichen fällt. Große Gegenstände wie eine Axt oder ein Handtuch, müssen in der Hand getragen und weggelegt werden, wenn man irgendetwas anderes anfassen will. Dadurch wird einem natürlich auch viel wildes Herumprobieren mit Items erspart, was nicht unbedingt unpraktisch ist, aber alles halt wirklich deutlich einfacher macht, als in manch anderem Adventure Spiel.
Irgendwann wird es sogar ein bisschen nervig, weil viele Rätsel sich darauf konzentrieren, irgendwo hineinzukommen, wo man nicht hinein darf. Als Zellner ist das, weil Legrand ihn nicht bei den Ermittlungen dabei haben will (schließlich ist er nur ein unbedeutender Polizist), und in der zweiten Hälfte spielt man dann einen Dieb namens Adil, der dieselbe Reise wie der Constable erlebt, dabei aber völlig unentdeckt bleiben muss. Er ist nicht der Raven, aber er hilft der Person, die sich als dieser ausgibt. Kurzzeitig steuert man sogar auch noch Adils Freundin.
Das ist erzähltechnisch alles fast ein kleiner Geniestreich. Nachdem man als Zellner den "großen" Antagonisten des Spiels entlarvt hat, wechselt die Perspektive zu Adil, mit dem man wieder in Zürich startet. Zuerst mag man meinen, dass es wie Faulheit und Streckung der Spielzeit wirkt, dass man wieder komplett von vorne anfängt, nur aus Sicht eines anderen. Aber ich fand, dass es wirklich gut gemacht war. Es wurden damit einfach sehr viele Geheimnisse, die Zellner zuerst nicht rausgefunden hatte (zum Beispiel wie der Raven eine Nachricht in ein abgeschlossenes Zugabteil schmuggeln konnte, oder einige Details zum Mord auf dem Schiff) noch aufgedeckt. Das fühlt sich die meiste Zeit über sehr rund an und sorgt für viele "Aha"-Momente - ich habe das dann wirklich sehr zu schätzen gewusst.
Ich fand die Geschichte insgesamt also richtig gut, und war vom Ende eigentlich auch begeistert. Und aus irgendeinem Grund bin ich selbst auf überhaupt keine Twists drauf gekommen, obwohl diese eigentlich nicht so verworren versteckt wurden. Keine Ahnung warum mein eigener Detektiv-Sinn mich völlig verlassen hat, obwohl man in so eine Rolle schlüpft.
Wie schon erwähnt ist es gegen Ende hin aber trotzdem anstrengend, dass man vor allem mit Adil ständig irgendwie versuchen muss, an bestimmte Orte zu gelangen. Mit ihm macht man eigentlich kaum etwas anderes, und auch wenn die Rätsel hier nie dieselben sind, war ich dem Ganzen schon ein wenig überdrüssig. Und das obwohl es eben relativ wenig Raum für unsinnige Lösungsfindung gibt, weil man nun mal nicht viele Items und Hotspots zur Auswahl hat. Selbst wenn man selbst keine logische Verbindung herstellen kann, kann man durch ein bisschen Herumprobieren alles recht zügig schaffen.
So leidet das Spiel allgemein unter inspirationslosem Gameplay, was mich persönlich durch die schöne Geschichte halt nicht übermäßig gestört hat, aber definitiv ein Kritikpunkt ist.
Ansonsten gibt es noch ein paar technische Probleme, die dem Spielspaß kaum Abbruch tun, aber halt auch da sind. Die Cutscenes funktionieren nicht immer einwandfrei, aber man kann sich auch in so einem Fall immer gut zusammenreimen, was das Spiel einem zeigen möchte. Es gibt kleine Bugs, bei denen Items grafisch nicht korrekt angezeigt werden, aber bis auf eine Stelle (wofür es eine simple Lösung im Internet zu finden gibt) steht das dem Vorankommen nie im Weg. Ein bisschen verärgert war ich über die Hotspots, die man sich zwar anzeigen lassen kann, aber dafür Punkte verliert. Es gibt nämlich ein Punktesystem - für gelöste Aufgaben erhält man Punkte, und für Hinweise oder eben Hotspots kann man diese ausgeben. Notwendig ist dies aber eben wenn dann nur bei den Interaktionspunkten, die manchmal mit einem Darüberfahren der Maus einfach nicht erscheinen. Das Spiel arbeitet oft mit Dunkelheit, in der man sich irgendwie Licht beschaffen muss (eventuell neben der Aktivität, irgendwo hineinzugelangen, die zweit häufigste Aufgabe), und man hat eher keine guten Karten, wenn man versucht auf dem schwarzen Bildschirm mit der Maus einen Hotspot zu finden.
Das Tagebuch, in dem man Hinweise freischalten kann, ist ein weiterer kleiner Kritikpunkt. Zwar ergänzen die Leute immer wieder die Einträge mit wichtigen Informationen, aber das ist alles nicht chronologisch angeordnet, sondern nach Personen. Und wenn ein Hinweis mehrere NPCs betrifft (die übrigens alle ziemlich gut gelungen sind), kann man ein bisschen herumsuchen, bis man relevante Neuigkeiten erfährt.
Besonders loben muss ich dafür noch die Vertonung und vor allem die Musik. Die Sprecher sind auf Englisch wirklich nicht schlecht und haben auch alle ihre erforderlichen Akzente - es gibt einige Nationalitäten, die vertreten sind, und sie alle sprechen überzeugend und authentisch.
Und der Soundtrack ist echt phänomenal, er ist orchestriert, eingängig und sehr atmosphärisch.
Zusammenfassend ist es, wie ich am Anfang gesagt habe: The Raven Remastered ist nicht unbedingt ein besonders gutes Point & Click Adventure, aber dafür eine spannende Detektiv-Geschichte, deren Präsentation die kleinen Kritikpunkte schon überflügelt. Für mich also ein schönes Erlebnis.
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