Vorsicht: Dieser Blog enthält viele Spoiler zu Videospielen, die nicht explizit gekennzeichnet werden!
Sonntag, 4. Juni 2023
LISA
Wenn man es ganz genau nimmt, besteht LISA eigentlich aus drei Spielen: The First, The Painful und The Joyful. Sie alle wurden mit dem RPG Maker erstellt, überzeugen aber mit eigenen Grafiken und Sounds. The First ist allerdings nicht nur gratis, sondern auch sehr kurz und hat keine RPG-Elemente, und The Joyful ist ein DLC zum Hauptspiel, also sind sie eng miteinander verbunden - und meiner Meinung nach sollte man auch keines davon komplett auslassen. Nichts desto trotz werde ich alle drei voneinander getrennt betrachten, denn das macht für mich aufgrund der großen Unterschiede am meisten Sinn.
Ich habe The First als Youtube Video geschaut, weil es eben so kurz ist und mir außerdem wahrscheinlich ein bisschen zu creepy wäre. Es ist eher dem Puzzle-Horror Genre zuzuordnen, denn man sammelt dort hauptsächlich Items, um voranzukommen - und zwar durch eine ekelhafte, psychedelische Welt, die für einen normalen Verstand keinen Sinn ergibt.
Es kristallisiert sich heraus, dass das Mädchen, das man spielt (und das sich natürlich viel später als "Lisa" herausstellen wird), einfach vor ihrem missbräuchlichen Vater fliehen will, der sie aber nicht entkommen lässt. Das verstörende Setting stellt eigentlich die Psyche des Mädchens dar, und die Flucht endet nicht mit dem erwünschten Ergebnis.
Und damit sind wir schon bei The Painful. Also ja, The First kann man theoretisch ignorieren, aber für das Verständnis, was in Protagonist Brad Armstrong vor sich geht, sollte man es schon kennen. Die Geschichte von Painful lässt sich auch so gut verfolgen, aber was den Antrieb und die Motive von Brad angeht, wird nur The First wirklich verständlich erklären.
Das Spiel findet in einer postapokalyptischen Welt statt. Es gibt dort nur noch karge Landschaften, keine Gesetzte und allen voran keine einzige Frau mehr. Die Menschheit ist zum Aussterben verdammt.
Eines Tages findet Brad, dessen Vater derselbe ist wie der von Lisa in The First (also waren die beiden, d'uh, Geschwister), ein weibliches Baby vor seinem Unterschlupf. Er verbirgt diese Entdeckung vor der Außenwelt, denn man kann sich grob ausmalen, was mit einem Mädchen in dieser Gesellschaft passieren würde, und zieht die Kleine gemeinsam mit zwei Freunden groß.
Diese zwei Freunde erkennen aber mit der Zeit, dass Buddy - so nennen sie das Mädchen - die einzige Hoffnung der Menschheit darstellt. Eines Tages bringen sie Buddy heimlich, aber dafür alles andere als unblutig, weg, und eine lange Reise wird in Gang gesetzt. Brad möchte Buddy, unter anderem auch wegen der Schuldgefühle seiner Schwester Lisa gegenüber, die er im Stich gelassen hatte, unter allen Umständen retten. Unter allen Umständen. *hinthint*
Dafür macht er sich auf den Weg durch eine blutrünstige und merkwürdige Welt, die ihn und den Spieler vor viele schwierige Aufgaben stellt.
Das erste Hindernis ist schon Brads Abhängigkeit von Joy. Das ist DIE Droge für den Mann der Apokalypse. Nimmt man sie nicht, hat man regelmäßig mit Entzugserscheinungen zu kämpfen, was im Kampf vor allem heißt, dass normale Angriffe keinen Schaden machen. Hat man Joy zur Verfügung, wird man mit einem Boost belohnt, der Brad lauter Crits ausführen lässt. Rein storytechnisch gesehen hat die Droge allerdings nicht nur beim Protagonisten schon einiges ruiniert, sondern hat auch körperliche Auswirkungen. Regelmäßig trifft man in der Spielwelt sogenannte "Joy-Mutants", grotesk geformte Körper, die nicht mehr bei Sinnen sind und mordend oder hungrig ihr Dasein fristen, aber einmal ganz normale Menschen waren.
Die Joy-Mutants scheinen jedoch einige Zeit lang unser geringstes Problem zu sein. Ständig warten ungute Überraschungen auf den Spieler, während Brad sich in der 2D-Welt vorwärts bewegt. Da wird man von einem Auto überfahren, oder explodierende Football-Spieler (?) rennen auf einen zu, ein Schneemann schießt plötzlich auf einen, ein Partymitglied wird nach dem Rasten entführt, oder... was am Schlimmsten ist... man trifft auf Buzzo.
Es gibt in The Painful einige Entscheidungen, die man treffen muss, und die teilweise deutlich mehr Auswirkungen haben, als die Frage, ob man mit Entzugserscheinungen oder einem Joy-Boost kämpfen will. Der bereits genannte Buzzo hat es aus irgendeinem Grund auf Brad abgesehen, und stellt ihm regelmäßig Fallen. Man kann sich dann meist entscheiden: Er schneidet einem den Arm ab, oder er tötet ein Partymitglied. Er schneidet Buddy einen Nippel ab (!!!), oder er tötet alle Partymitglieder. Er nimmt einem alle Items weg, oder kriegt halt doch noch den Arm, Notfalls den zweiten auch noch. Es sind mitunter die schlimmsten Entscheidungen, die ich in Spielen je treffen musste. Sie sind wirklich erbarmungslos und keine Wahl war eindeutig für mich. Und wenn man sich irgendwie versucht herauszuwinden, dann verliert mal alles - also zum Beispiel den Arm und das Partymitglied, und die eigene Würde wahrscheinlich auch noch (obwohl, das kommt später nochmal heftiger).
Die Entscheidungen haben meistens Einfluss auf das Gameplay, am deutlichsten zu sehen an der Armlosigkeit.
Brads Angriffe werden durch die Tasten W, A, S, und D bestimmt, wobei jeder Buchstabe eine bestimmte Art von Attacke darstellt. Verliert man einen Arm, hat man nur noch A, S, und D übrig (ohne den zweiten vermutlich nur noch zwei davon, ich habe sie mir aber nicht beide nehmen lassen). Bestimmte Skills, die automatisch durch Leveln erlernt werden, werden durch ganz bestimmte Kombinationen ausgelöst (mein Liebling war natürlich der Feuerball 3, mit der Kombination ASS, höhöhö. Ja. Naja.), die vor einer Kampfrunde eingegeben werden. Alle Aktionen, die man in den rundenbasierenden Gefechten durchführen will, werden vor Rundenbeginn eingegeben, aber die Buchstaben selbst muss man dort dann eingeben. Wählt man eine Skill aus dem Menü, wird nur diese ausgeführt, während man bei einer direkten Eingabe vorher Schläge austeilt, die dann erst in dieser Skill gipfeln. Äh, ich hoffe ich habe das halbwegs verständlich ausgedrückt.
Wie auch immer, zur Unterstützung gibt es dreißig mögliche Partymitglieder. Ja, dreißig!! Recht wenige sind davon tatsächlich vom Plot vorgesehen, alle anderen haben unterschiedliche Bedingungen zur Rekrutierung - manche leicht, manche recht verschachtelt. Es macht natürlich sehr viel Spaß, die ganze Truppe zusammenzusammeln. Im Kampf sind sie teilweise sehr unterschiedlich - es gibt auch hier welche, die dieselben Buchstaben-Kombis wie Brad benutzen, andere haben einfach auswählbare Skills, manche haben dasselbe Joy-Problem wie Brad und ein paar haben Fähigkeiten mit Zufalls-Effekten. Es wird nicht langweilig, kann ich sagen! Und die große Auswahl an Charakteren ist sowieso irgendwie dadurch gerechtfertigt, dass sie alle sterben können. Nicht direkt bei einem Kampf (obwohl es auch solche gibt, die aber zum Glück nur optional sind), sondern durch irgendwelche fiesen Fallen, die einem das Spiel wieder stellt. An einer Stelle muss man drei Runden Russisches Roulette überleben - gegen einen Gegner, und die Runde läuft so lange, bis einer von beiden stirbt. Dieser Part ist nicht optional und richtig, richtig scheiße. Würde ich sagen, wenn ich nicht tatsächlich so viel Glück gehabt hätte, dass mein auserwählter NPC für diese Prüfungen tatsächlich alles überlebt hat. xD Aber ich habe dafür einmal einen Speicherstand laden müssen, weil ich beim ersten Versuch gleich mal verloren hatte, aber eben nur einmal! Und das ist nicht die einzige Stelle, bei der man Partymitglieder verbraten kann!
Mir ist gleich am Anfang einmal Terry entführt worden - der allererste Mitstreiter, den man erhält - und weil ich noch dumm war und nicht verstanden hatte, dass man präkeren Situationen halt nicht entkommen kann, ist der dann auch einfach mal von seinen Entführern umgebracht worden. Das tat mir schon ein bisschen leid. xD Ich habe danach nie wieder bei einem Lagerfeuer übernachtet, sondern nur noch in kostspieligen Inns - denn die Lagerfeuer sind nicht sicher und haben eine Chance auf viele unterschiedliche Events, die getriggert werden. Und für die schlimmsten Entscheidungen werden natürlich auch immer genau die Partymitglieder gewählt, die man auch aktiv benutzt, damit es ja nicht zu leicht wird.
Insgesamt fand ich The Painful auch genau das, painful. Allerdings nicht aufgrund der Schwierigkeit der Gefechte, obwohl ich diese gerade zu Beginn auch echt nicht einfach fand (und es gibt für alle Wahnsinnigen auch einen "Pain Mode", der alles nochmal schwieriger macht, den ich jedoch natürlich nicht gespielt habe xD). Und sobald ich also im normalen Modus meine beste Party aller Zeiten hatte (Olan mit seinem Giftpfeil, Bo mit HP- und SP-Heilung, und Mad Dog, der alles blutig geprügelt hat - The Dream Team!!!), war es tatsächlich nicht mehr schwierig.
Aber die Geschichte will einen leiden lassen, und sie schafft es zumeist auch auf eine faszinierende Art und Weise. Zwischendurch gibt es dann aber auch wieder albernen Humor - meistens irgendwie mit Fäkalien zusammenhängend - aber auch der ist manchmal mehr "schmerzhaft" statt lustig. ;D
Gruselig wird es ab und an dann auch noch, was meist an Stellen mit Joy-Mutants ist, weil die halt wirklich grotesk aussehen, und wenn es um die Vergangenheit von Brad geht. Wie gesagt hat es hier sicher einen anderen Effekt, wenn man weiß, dass ein bestimmtes Gesicht zum Vater von ihm und Lisa gehört, anstatt diese Visage erst in Painful neu kennen und fürchten zu lernen.
Jedenfalls erzeugt die Mischung aus Grausamkeit, niederträchtigem Humor und leichtem Horror wirklich eine eigene Atmosphäre. Eine gute.
Der finale Part (ab dem man die Party hinter sich lässt) ist auch echt nochmal heftig, wirft einige Dinge über den Haufen und zeigt einem nochmal so richtig, dass es vermutlich gar keine gute Seite in dieser Geschichte gibt. Auch nicht bei uns bzw. Brad. Ich habe mich wirklich bemüht, kein Joy mehr zu nehmen, alte Freunde trotz "Verrat" am Leben zu lassen und meine Arme loszuwerden aber... im Endeffekt ist Brad verloren. Da bin ich fast froh, manchmal leicht fragwürdige Entscheidungen getroffen zu haben (Sorry Rage), denn so passt das Ende umso besser zu meinem Weg dorthin. Was ich komischerweise am schlimmsten fand, war der Kampf gegen Rando, für den ich in den zwei Szenen, in denen er vorkam, eine Schwäche entwickelt hatte. Am liebsten hätte ich ihn geknuddelt, statt ihn zu, äh, töten. Würde es ihn als Plüschtier geben, würde ich es kaufen. Gibt es ein Rando Plüschtier???
Ich war jedenfalls schon sehr geflasht vom Abschluss des Spiels, und auch wenn Brads Geschichte mit ihm als Joy-Mutant eigentlich rund zu Ende erzählt wurde, war ich erleichtert, noch eine Fortsetzung vor mir zu haben.
Was ich von The Joyful allerdings irgendwie nicht erwartet hatte war, dass es wirklich direkt an das Ende von Painful anschloss - also es beginnt wirklich mit der Szene, mit der das andere Spiel aufhört.
Und dann hatte Rando auch noch überlebt. Ich war SO glücklich, und gleichzeitig SO entsetzt, weil mir klar war, dass ich ihn damit NOCH EINMAL verlieren würde. Das tat mir schon weh bevor ich nach recht kurzer Zeit realisiert habe, dass höchstwahrscheinlich wieder ich selbst komplett daran Schuld sein würde - statt als Brad halt dann als Buddy. Fuck you, Buddy.
Ich weiß nicht, warum ich irgendwie davon ausging, dass ausgerechnet sie eine Protagonistin sein würde, mit der man alles wieder ins Reine bringen kann - die Person, die ihr bisheriges Leben lang eingesperrt war, von jedem Menschen, dem sie dann begegnet ist, besessen werden wollte (oder beschützt, was trotzdem auch gegen ihren Willen war), und niemals eigenständig sein durfte. Also, ich verstehe irgendwie schon auch, wo das Ganze herkommt. Aber es war trotzdem eine seelische Qual, sich mit Buddy durch alles und jeden zu metzeln, egal um wen es dabei ging. Und ja, natürlich hat sie mit Schuld am schließlich endgültigen Tod von Rando, aber es war nicht komplett und alleine sie.
Vom Spielprinzip her ist Joyful etwas linearer als Painful, und man muss ab einem bestimmten Zeitpunkt eben ganz alleine in den Kämpfen klar kommen. Buddy hat keine Tastenkombinationen, sondern gezielte Angriffe, bei denen man im richtigen Augenblick die Enter-Taste drücken musste. Mit ihr im Alleingang war eine taktischere Herangehensweise erforderlich, was mir eigentlich sogar Spaß gemacht hat (neben den Masken, die man einsammeln kann und damit unterschiedliche Reaktionen von anderen triggert, vielleicht der einzige "Spaß", den ich empfunden habe). Nun, zumindest wenn ich Joy genommen habe, was in diesem DLC storytechnisch weiterhin eine große Rolle einnimmt, man aber keinen wirklichen Vorteil davon hat, wenn man versucht, "clean" zu bleiben. Das Ende wird davon beeinflusst, welche Geheimnisse man im Laufe des Weges herausgefunden hat, und ob man zum Schluss ein Gegenmittel gegen die Auswirkungen von Joy nimmt, oder nicht. Zum Glück, denn ohne die Droge ist das Spiel sicher bockschwer.
Während also das Gameplay sicher komprimierter ist als in Painful, geht es hier aber auch einfach nochmal viel mehr darum, die Geschichte fertig zu erzählen. Man bekommt nicht nur die Gelegenheit, Rando deutlich näher kennenzulernen, sondern kann mehr über die Ursprünge von Joy erfahren, wird das Verhältnis zwischen Brad und Buddy aufarbeiten, und lernt endlich zu verstehen, wer Buzzo eigentlich ist, und warum er Brad so unfassbar gequält hat. Und darüber kann man auch mehr über Lisa herausfinden, die wirklich der Ursprung für viele, viele psychische Untiefen einzelner Personen ist.
Ich habe am Ende natürlich das Gegenmittel genommen, was zu einem Ending führte, in dem Buddy die Joy-Mutants (und damit auch Brad) kontrollieren kann, was einer hoffnungsvollen Zukunft wohl am nähesten kommt. Ein Baby hat sie anscheinend auch, auch wenn nicht ganz eindeutig ist, woher dieses stammt. Und Buzzo und Rando hat sie jeweils ein Grab gemacht, was ich als Zeichen dafür sehe, dass sie die beiden in Erinnerung hält. Ehrlich, das ist in dieser beschissenen Welt, mit dieser durch die Umstände ebenfalls leicht gestörten Protagonistin wohl wirklich das Beste, auf das man hoffen kann. xD Aber in Wahrheit ist dieses "Beste" halt etwas, das man emotional natürlich nicht wirklich als "gut" empfindet. Jeder, der einem als Spieler etwas bedeutet hat, ist nicht mehr da, und Buddy ist eigentlich komplett alleine. Und selbst wenn ich nicht direkt meine Sympathie für sie aufrecht erhalten konnte, kann man doch trotzdem nachfühlen, wie leer der Erfolg am Ende doch ist.
Also zumindest ich habe mich, nachdem ich noch ein bisschen geweint habe, als Buddy zum Schluss in ihren Halluzinationen gegen Rando und Brad gekämpft hat, dann einfach nur noch leer gefühlt. Daher würde ich zum Spiel nun sagen: Mission Accomplished! Es war tatsächlich schmerzhaft! Aber dabei halt auch soo gut.
Es gibt ein paar Schwächen, die ich nicht wirklich ausklammern möchte - teilweise ist LISA in seiner Gesamtheit halt auch gerne mal unfair, die Übersicht über die vielen Locations und verworrenen Wege kann leicht mal verloren gehen, und das Motorradfahren ist UNTER ALLER SAU (zum Glück nur einmal obligatorisch, und sonst optional). Der Stil ist vielleicht auch gewöhnungsbedürftig, man sollte sich davon aber wirklich nicht abschrecken lassen, denn er passt so gut zum Setting und verleiht dem Ganzen eine seeehr eigene Note. LISA hat mich auf jeden Fall mit gebrochenem Herzen zurück gelassen, und mal ehrlich, das ist ja was wir alle von einem Spiel wollen. ;0
Also die komplette Erfahrung rangiert dieses Jahr bisher definitiv irgendwo ganz oben in meiner Liste der besten Spiele, und einen Nachfolger (der eventuell auf Twitter vor ein paar Tagen angeteasert wurde, nach so langer Zeit, bitte bitte??) würde ich ohne zu Zögern sofort, um fast jeden Preis, kaufen. Es war wirklich ein... Erlebnis.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen