Montag, 5. September 2022

Impostor Factory


Letztes Jahr war es endlich soweit, das dritte vollwertige Spiel von Kan Gao erschien und sollte dabei das Ende einer Ära markieren. Daher ging ich einfach mal völlig naiv davon aus, dass es der letzte Teil der Reihe sein sollte. Gleichzeitig wurde alleine durch die Kurzbeschreibung (und später durch Kommentare auf Twitter) des Spiels auch klar, dass es irgendwie anders werden würde, und ich erwartete eine deutlich weniger traurige Geschichte als in den Vorgängern. Nun, um es gleich vorweg zu nehmen: Ich lag mit beiden Annahmen falsch. Impostor Factory kann definitiv nicht der letzte Teil sein, weil er eher mehr Hintergrundwissen vermittelt als dass es tatsächlich die "Hauptgeschichte" vorantreiben würde. Und obwohl alles mysteriös anfängt dauert es nicht lange, bis man die Taschentücher rausfischen muss. Zumindest ich habe im zweiten Akt wohl mehr geheult als mir lieb war. :')
Ansonsten unterscheidet sich das Spiel aber tatsächlich mehr von allen vorangegangenen Titeln, was es im Endeffekt nicht schlechter macht. Das ist eher anderen Tatsachen geschuldet, auch wenn ich dazu gleich sagen muss, dass ich Impostor Factory trotz allem nur relativ knapp hinter den anderen beiden "richtigen Teilen" (und definitiv vor den Zwischenepisoden) ansiedeln würde. Die Gründe dafür sind vorrangig eben, dass sich einerseits herausstellt, dass die uns bereits bekannte Geschichte sich nicht wirklich fortführt, und andererseits das komplett fehlende Gameplay.

Also wirklich, man macht nicht mal minimale Sachen, man läuft nur herum und klickt Sachen am, um Szenen zu starten oder "Erinnerungen" zu sammeln, mit denen man Barrieren überwindet. Mich persönlich hat das jetzt zwar nicht gelangweilt, aber es ist trotzdem eigentlich ein Rückschritt. 
Der Vorteil ist, dass ich mich erst gar nicht mit Gameplay-Erklärungen herumschlagen muss, sondern diesen Bericht nun gleich mit dem Wichtigsten fortführen kann: Mit der Geschichte. 
Als Spieler steuert man einen Typen namens Quincy, der eine Einladung zu einer mysteriösen Party in einem großen Anwesen am Arsch der Welt erhalten hat. Da er ein wenig zu früh ist (oder alle anderen zu spät), hat er gleich mal die Gelegenheit, ein geheimnisvolles Gespräch mit einer Frau namens Lynri zu führen, die ihm sagt, dass sie das erste Mal hier wäre, aber eigentlich auch schon viele Male. 
Es wird also gleich klar, dass sie eine spezielle Rolle spielen wird, falls ihr auffälliges rotes Kleid noch nicht Hinweis genug sein sollte. ;0
Nach ein paar kurzen Szenen, in denen man vor allem erfährt, dass es bei dieser Party wohl um die Vorstellung einer bahnbrechende Erfindung geht, findet Quincy jedoch die Leichen der Veranstalter. Und damit nicht genug - zufällig schafft er es durch Händewaschen im Klo (mit vergoldeter Toilette ( ͡° ͜ʖ ͡°) ) die Zeit zurückzudrehen, aber trotzdem sterben die Hauseigentümer jedes Mal wieder aufs Neue. 
Lynri scheint irgendwie darin verwickelt zu sein, denn sie ist es schließlich, die, die dieses Problem lösen muss. Und dafür schickt sie Quincy in einen Raum, der ihn auf eine Reise in die Vergangenheit führt. 

Ihr habt es vielleicht erraten, das ist dann der hauptsächliche Tearjerker-Part, obwohl es am Ende auch noch einiges zu Beweinen gibt. Aber dieser zweite Akt der Geschichte, in dem Quincy nicht nur erfährt, wer die Gastgeber oder Lynri überhaupt sind, sondern auch wer er selbst eigentlich ist, erinnert am meisten an die vorangegangenen Spiele. 
Relativ schnell stellt sich heraus, dass Quincy nur eine Erinnerung ist, die in einer Maschine gespeichert wurde. Der Mensch, nach dem er geformt wurde, war im wahren Leben Lynris Freund und späterer Ehemann. Dass er selbst nicht echt ist verträgt unser Protagonist aber, gelinde gesagt, relativ gut.^^
Wie es allerdings so weit kam, wird lange erklärt und beginnt bereits in Lynris Kindheit. Alles läuft dabei ein bisschen wie ein Film ab, man steuert Quincy zwar, aber eben eigentlich nur von einer Szene in die nächste. Erinnerungskugeln fallen ihm automatisch in die Hände (hatte trotzdem Gänsehaut, als das das erste Mal angezeigt wurde) und werden sogar ohne weiteren Tastendruck auf die Barrieren angewandt, wenn man nur dagegen läuft. 
Es wäre nun ein wenig zu viel Lynris gesamte Geschichte nachzuerzählen, daher werde ich kurz die Highlights auflisten und mich dann um den Hauptpunkt dieser ganzen Sache kümmern.
Also richtig gut fand ich natürlich die Szenen im Lavendelfeld mit Lynris Vater, die wunderschön und herzzerreißend sind. Alles mit Quincy war sowieso toll, allen voran der Moment auf der Brücke, wo er ihr aus herkömmlichen Gegenständen Sehenswürdigkeiten zusammengebastelt hat. Wer sich spätestens da nicht in ihn verliebt hätte wäre wirklich ein herzloses Monster. :0 
Der wirklich essenzielle Punkt drehte sich dann allerdings um den Sohn, den die beiden gemeinsam hatten. Das erste, was man über Lynri erfährt ist eine schlimme Krankheit, die sie in sich trägt und die jederzeit ausbrechen kann, aber nicht muss. Als sie dann schwanger wird kommt dann irgendwann der Moment, wo sie tatsächlich krank wird und eine Entscheidung getroffen werden muss. 

Kurze Unterbrechung: Da Lynri ja offensichtlich wissenschaftlich begabt war (und zwischenzeitlich eben bei den Leuten arbeitete, die auf dieser "Party" eine Erfindung präsentieren wollten) hatte ich bei der Enthüllung, dass sie schwanger ist, sofort den Gedanken, dass es sich bei dem Sohn um Dr. Neil Watts handeln könnte. Das verwarf ich aber bereits wieder als ziemlich schnell feststand, dass das Kind Toby heißen sollte. Daher ging ich einige Zeit davon aus, dass Lynri eventuell einfach die Erschafferin der Maschine von Sigmund Corp. war, mit der die Erinnerungen der Sterbenden verändert werden konnten.

Okay, es musste also eine Entscheidung getroffen werden: Das Baby in Lynris Bauch war noch zu schwach um wirklich sicher sein zu können, dass es überlebensfähig wäre. Würde man aber warten bis zur natürlichen Geburt, konnte man Lynri nicht mehr so gut behandeln und ihre Krankheit würde sie schwer beeinträchtigen und schließlich umbringen. 
In der Timeline, die wir mit Quincy beobachteten, entschieden sich die Eltern für Lynris Gesundheit. Der kleine Toby lebte zwar einige Jahre gut behütet, war aber nie richtig gesund oder alleine lebensfähig, und starb schließlich in jungem Alter. Das war... ehrlich harter Tobak. 
Lynri verließ daraufhin Quincy und kehrte zurück zu ihrer Tätigkeit als Forscherin und Wissenschaftlerin, und erschuf schließlich die Welt, in der das Spiel begann und den Quincy, den man steuert, in ihrer "Erinnerungsmaschine" (haben die Dinger eigentlich irgendeinen offiziellen Namen?). 
Ich habe ja vorhin gerade das Wort "Timeline" benutzt, weil sich herausstellte, dass diese ganze Geschichte gar nicht echt war, und ebenfalls nur eine Ebene der Erinnerungsmaschine war. Und zwar wohl von der, die Neil ja bereits in den vorangegangenen Teilen heimlich entwickelte. 
Es gab hier inzwischen so viele Schichten an Realitäten, dass diese zusammenzubrechen drohten. Um die echte Maschine zu retten mussten alle Ebenen darauf zerstört werden. Dies übernahm Faye, die im letzten Teil ja als Colin imaginäre Freundin bereits Prominenz erhalten hatte (sie wurde da auch bereits von Neil für seine eigenen Pläne "angeheuert", was man damals noch nicht so genau deuten konnte). Zuerst vernichtete sie also die fehlerhaften Personen, was die Morde in dem Anwesen am Anfang darstellten, aber im Endeffekt blieb ihr nichts anderes, als alle Welten zu zerstören. 
Viel wichtiger war aber noch, dass sie Lynri und Quincy erzählte, die beide nun ja nicht wirklich "echt" waren, wie die Realität für sie verlaufen war. In dieser hatten sie sich nicht dafür entschieden, Lynris Leben zu retten, sondern das des ungeborenen Kindes. Und weil Quincy zum Andenken an seine Frau, die nun ja vermutlich keine allzu hohe Lebenserwartung mehr haben würde, dem Sohn nun doch ihren Nachnamen geben wollte, entschieden sie sich beim Vornamen nochmal um. Es gab also doch keinen Toby. Sondern einen Neil Watts. 
Ich habe schon sehr geheult, wahrscheinlich umso mehr weil ich diesen Gedanken schon gehabt hatte. 
In der "echten" Timeline starb Lynri dann auch relativ bald, hinterließ ihrem Sohn aber gespeicherte Erinnerungen, die zu dem Zeitpunkt noch nicht entschlüsselt werden konnten. Und Neil übernahm genau deshalb die Ambitionen seiner Mutter. Zwar wurde er dann nicht dort angestellt, wo sie gearbeitet hatte, aber Sigmund Corp. wurde gegründet, wo er bekanntlich ja jetzt auch geheim seine eigenen Ziele verfolgen konnte. Soweit ich das verstanden habe sind diese vorrangig, dass man Erinnerungen von Menschen so gut und genau speichern kann, dass man diese quasi miterleben kann, sodass der Verlust nicht so endgültig erscheint. So ähnlich halt. Und offenbar gelang dies, da sich schließlich in den Erinnerungen eigene Zeitlinien gebildet hatten, die immer weitere erschafften und so weiter...

Das wirft nun natürlich auch nochmal ein neues Licht auf die gesamte Reihe. Die subtilen Hinweise, die seit To The Moon schon eingestreut wurden, ergeben nun mehr Sinn. Möchte hier kurz anmerken, dass ich mega beeindruckt bin, dass der übergeordnete Plot also bereits seit Anfang an stehen muss und das konsequent fortgeführt wird. Richtig cool.
Auf jeden Fall gehe ich jetzt also von Folgendem aus: Neil hat die Krankheit seiner Mutter geerbt. Er hat es schließlich aber geschafft, all seine Erinnerungen in seiner Maschine zu speichern, die er schließlich auch mit Hilfe von Faye voll funktionstüchtig machen konnte. Und ich glaube, dass er schließlich gestorben ist, und Eva sich alles mit Hilfe der Maschine nochmal ansieht - also To The Moon, Finding Paradise, und wer weiß was noch folgen mag. Natürlich bin ich da nicht sofort von alleine drauf gekommen, immerhin würde das erfordern, dass ich mich an sehr viele Kleinigkeiten aus den vergangenen Spielen erinnere - aber weil ich über die genaue Funktion der Maschine in Impostor Factory verwirrt war und ein bisschen nachlesen wollte, bin ich auf ein Video gestoßen, dass vor diesem Teil erstellt wurde, und deren Ausführungen sich quasi nahtlos hier nun eingeführt haben. 
Auf jeden Fall würde darauf auch hinweisen, dass Neil und Eva in dem Spiel hier eigentlich ein Happy End bekommen. Bevor nämlich die unechten Lynri und Quincy von Faye gelöscht werden, dürfen sie noch ein Leben in einer idealen Zeitlinie verbringen. In dieser ist niemand krank, es gibt keine Schicksalsschläge, Neil wächst du einem hervorragenden Mann heran, der schließlich Eva heiratet und eine Familie gründet. Das war alles sehr schön, allerdings wäre es schon sehr typisch für die Serie, wenn das das Beste wäre, das wir bekommen könnten: Falsche Erinnerungen. 
Inwiefern übrigens so ein perfektes Leben es wert ist gelebt zu werden, weil man dann die guten Momente ohne irgendwelche Stolpersteine weniger schätzen kann, werde ich hier unkommentiert lassen. Auch wenn es im Spiel kurz angesprochen wird und man darüber wahrscheinlich ewig diskutieren könnte, interessiert mich das aktuell gerade nicht wirklich. 

Auf jeden Fall endet Impostor Factory mit dieser "perfekten Timeline" und nur einem kleinen Einblick in die Realität. Also wie gesagt, der übergeordnete Plot bewegt sich eigentlich kein Stück weiter. Es kann also wirklich absolut nicht davon gesprochen werden, dass mit diesem Teil in irgendeiner Art und Weise die Reihe einen Abschluss finden könnte. Ganz im Gegenteil, für mich fühlt sich das sehr stark nach einem Auftakt zum Finale an, indem noch nötige Hintergrundinformationen gegeben werden, damit dann am Ende alles so richtig weh tun kann. :) 
Einerseits ist das ein bisschen enttäuschend, weil das Spiel dadurch wieder "nur" zu einem Interludium wird. Verstärkt wird das durch das komplett fehlende Gameplay und auch durch den gefühlt etwas abgespeckteren Soundtrack - nicht nur weil ein richtiger Vocal Track fehlt, sondern mir die Musik allgemein eine Spur weniger "impactful" vorkam. Aber es ist halt ein wirklich sehr gutes Interludium. Die Charaktere, vor allem Quincy, waren echt sympathisch, Ricebot und die Katze fand ich super (das war genau das richtige Maß an Albernheit, das hier verwendet wurde), die Artworks zwischendurch waren echt sehr schön, und es ging halt alles wieder ans Herz. Und ansonsten kann ich eh wirklich nichts mehr an der Art, wie Kan Gao seine Spiele macht, aussetzen. Er ist schon ziemlich gut. Ich hoffe es wird bald ein Nachfolger wenigstens angekündigt. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen