Dienstag, 17. August 2021

World's End Club


Das ist einer der wenigen Momente in denen ich wünschte ich würde mehr Leute kennen, um sie mit Empfehlungen vollzumüllen. Einfach nur, weil World's End Club nicht besonders viel Aufmerksamkeit bekommt und viele Reviews sich schon sehr auf das - zugegebenermaßen wirklich nicht besonders gute - Gameplay konzentrieren. In Bezug auf die Geschichte wird auch meiner Meinung nach viel zu oft erwähnt, dass sie für jüngeres Publikum konzipiert wurde. Ja, die Protagonisten sind 12 Jahre alt, und ja, diese verhalten sich teilweise natürlich auch dementsprechend. Aber das Spiel hat nicht umsonst den Namen, den es hat, und es gibt viele Szenen die sich mit dem Zustand der Welt und dem Tod von bestimmten Menschen befassen. Nur weil es sich nicht - wie fälschlicherweise durch die ersten Spielminuten beworben - um ein typisches "Death-Game" handelt, das man von den Machern definitiv erwarten würde (Schreiber und Creative Directors der Zero Escape und Danganronpa Reihen), ist es nicht unbedingt kindisch.
Das Death-Game nimmt tatsächlich nur grob die erste Spielstunde ein, alles danach gleicht eher einem Road-Trip, der für mich aber überraschend gut funktioniert hat. Das ist definitiv dem Fokus auf die 12 Hauptcharaktere geschuldet, die man nicht nur einzeln immer besser kennen lernt, sondern deren Beziehungen untereinander auch eine große Rolle spielen. Und diese Sache hat eine ziemlich große Liebe bei mir entfacht, neben einem extrem gelungenen Soundtrack und dem sehr eigenen Grafikstil. Die Gruppe aus 12 Kindern, die sich mal trennt und dann wieder zusammenfindet, die gefährliche und rätselhafte Situationen gemeinsam überstehen muss, und die am Ende auch im Spiel selbst quasi alle Herzen erobert, macht World's End Club zu etwas ganz Besonderem, das es bestimmt in meine Game of the Year Liste schaffen wird. Und das eben, obwohl man auf das Gameplay nun wirklich so ziemlich sch... kann. :)

Ich möchte zur Geschichte jetzt nicht zu viel verraten, weil das Spiel natürlich sehr auf Plottwists setzt, was man von solchen Namen wie Kotaru Uchikoshi und Kazutaka Kodaka ja auch erwartet. Wer die Zero Escape-Reihe kennt wird auch ein paar beliebte Themen wiedererkennen, aber für mich gab es genug frische Ideen - kann natürlich sein, dass die dafür in Danganronpa vorkommen, das habe ich ja noch nicht gespielt.
Welches Vorwissen man aber auch immer hat, man wird trotzdem viele der Plottwists herausfinden bevor sie aufgedeckt werden. Ich würde sagen, dass keine Sache so weit hergeholt ist, dass man sie nicht irgendwie erahnen könnte, was ich in dem Fall eigentlich als positiv werte. Ich mag es wenn der Spieler die Möglichkeit hat Hinweise zu entdecken und zu kombinieren, und dann nicht noch irgendwas völlig Unerwartetes, auf das man selbst einfach nicht kommen kann, auftaucht. Bei manchen Twists, auf die ich im Vorhinein gekommen bin, dachte ich erst auch ich würde die das ganze Spiel über mit mir wissend herumtragen und das dann ganz am Ende rauskommen... aber nein, angenehmerweise lösen sich manche Dinge schnell genug auf, damit man eben nicht später dann völlig unterwältigt zu sich selbst murmelt, dass man das ja seit Stunden bereits weiß. Zwar haben viele Vorkommnisse dadurch natürlich nicht den extrem explosiven Aha-Effekt, der einen in emotionale Tiefen reißt wie bei Ever 17 oder 999, aber dafür kommt man da auch wesentlich geradliniger und schneller hin. Allgemein ist World's End Club mit nur einem schlechten und einem True Ending nämlich gut überschau- und durchschaubar. Kompliziertes Herumspringen und dutzende Roadblocks gibt es hier nicht - Letzteres nur wenn man zu faul ist nach dem schlechten Ende nochmal bei jeder großen Wahl, die der Spieler treffen kann (das sind nur vier) auch die andere Alternative auszuprobieren. Aufwand stellt das eigentlich keinen dar und die einzelnen Möglichkeiten unterscheiden sich auch signifikant voneinander.

Aber okay, worum geht es denn nun? Der "Go Getters" Club, das ist ein Schulklub von Außenseitern, möchte einen Ausflug machen. Auf diesem verunglückt der Schulbus durch etwas, das wie ein Meteoriteneinschlag aussieht. Die 11 Mitglieder des Clubs (ein weiteres kommt erst später hinzu) wachen schließlich später in einem verlassenen Unterwasser-Vergnügungspark auf. Es gilt dort, sich durch ein Death-Game wieder an die Oberfläche zu kämpfen, und danach geht World's End Club eigentlich erst so richtig los. Die Protagonisten merken dann nach erfolgter Flucht nämlich, dass die Welt plötzlich wie ausgestorben erscheint. Ortschaften sind vollkommen leer, die oft brüchigen Gebäude mit Pflanzen überwuchert, und seltsame Mutationen treiben sich in den Straßen herum. Die Kinder beschließen daraufhin zurück nach Tokyo zu reisen - ihre Heimatstadt - weil sie nicht glauben wollen, dass die Zerstörung bis dorthin reicht. Allerdings gibt es keine Transportmittel mehr, und so machen sich die Elf auf, um zu Fuß in die Hauptstadt Japans zu gelangen.
Es gibt hier dann Story- und Spielabschnitte. Bei den Spielabschnitten ist Reycho, der Charakter den man steuert, immer mit so zwei bis drei anderen Go Getters unterwegs und die Konstellationen (aus denen man manchmal auch wählen kann) sind natürlich immer ein bisschen anders. So lernt man eigentlich jede Person und auch deren Verhältnis zueinander sehr gut kennen. Bei den Storyabschnitten sind meist alle Charaktere anwesend, außer die Gruppe hat sich gerade getrennt, und es gibt außerdem Camp-Punkte wo man mit jedem einzeln sprechen kann. Es wird wirklich viel Aufwand in die Charaktere gesteckt und man wird den Großteil von ihnen - wenn nicht vielleicht sogar alle - wirklich richtig ins Herz schließen. Natürlich besitzen sie alle nicht extrem viel Tiefe, immerhin wollen hier 12 Leute charakterisiert werden, aber sie kommen in den vielen, vielen Gesprächen trotzdem einfach sehr authentisch und liebenswert rüber.
Pochi, Anaki und Pai waren mit Abstand meine Lieblinge, und Vanilla, Nyoro und Jennu mochte ich auch sehr. Am Ende konnte ich sogar Chuko und Kansai, die ich zu Anfang wirklich gar nicht leiden konnte (und daher immer entschieden habe, dass Reycho nicht mit denen rumhängen soll) viel abgewinnen. Nur Mowchan bleibt meines Erachtens nach eigentlich meist recht blass, weil sein Trope - der Dicke, der gerne isst und gut kocht - halt wirklich mit Abstand am wenigsten verändert oder vertieft wird. 

Alle Charaktere scheinen jedenfalls eine verborgene Kraft in sich zu haben, die in lebensgefährlichen Situationen erweckt werden. So kann Reycho zum Beispiel schwere Dinge mit großer Kraft werfen, oder Jennu die Schwerkraft umkehren und an Decken laufen. Diese Skills sind natürlich vor allem für das Gameplay wichtig, spielen aber auch in der Geschichte ihre Rolle. Auf diese Art und Weise bekommt auch wirklich jeder so seinen eigenen Platz im Rampenlicht, auch wenn diese Fähigkeiten im normalen Spielverlauf dann nur ein Mal wirklich zum Tragen kommen - beim True Ending bekommen sie alle aber nochmals viel Aufmerksamkeit.
Auf jeden Fall kann man es so vielleicht schon erahnen: Das Spiel spielt sich außerhalb der Story-Szenen wie ein Puzzle Platformer. Leider nicht wie ein guter.
Die Sprungpassagen sind wenig herausfordernd, was aber gut ist, weil es so einige Probleme mit der Präzision gibt. Alle Bewegungen fühlen sich auch etwas träge an. Zum Glück muss man meist eher durch sehr einfach Denkaufgaben vorankommen - Kisten verschieben, Gegner einsperren, um an ihnen vorbei zu kommen, oder eben die Fähigkeiten der Charaktere nutzen. 
Es gibt auch ein paar Gegner, die man hauptsächlich mit Skills überlistet, statt sie zu bekämpfen, was grundsätzlich gut funktioniert, außer bei den wenigen Bossgegner. Es gilt die Devise: Ein Treffer und du bist Game Over. Die grundsätzliche Schwierigkeit wäre hier an sich kein Problem, da die anzuwendende Taktik meist leicht zu durchschauen ist und meist aus einer Kombination aus Dodgen und Fähigkeit benutzen besteht. Aber durch die unpräzise und träge Steuerung werden solche Passagen manchmal zu einer Geduldsprobe - der Frust wird nicht ausbleiben. Zwar kann man zwischen einer leichten und einer normalen Schwierigkeit wählen, aber das macht im Endeffekt kaum einen Unterschied, weil man trotzdem meist nach einem gegnerischen Treffer stirbt (ich habe beides ausprobiert).


Nachdem nun also die größte Schwäche des Spiels beschrieben wurde möchte ich noch ein paar Kleinigkeiten loswerden, die meine allgemeine Meinung nicht mehr sonderlich beeinflussen, aber doch gesagt werden müssen.
Das einzige, was ich an der Story vielleicht kritisieren würde ist der Unwillen der Protagonisten, manchen Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Gespräche über merkwürdige Dinge enden meist damit dass jemand (sehr oft Jennu) sagt "Es bringt nichts sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen" Dies dient natürlich dem Zweck, mit Plottwists abwarten zu können bis der geeignete Moment gekommen ist. Vielleicht soll das Alter der Protagonisten dieses Verhalten auch "entschuldigen", ein bisschen konstruiert wirkt es aber trotzdem - am meisten im Fall von Yuki, dem schließlich zwölften Mitglied der Go Getters, die einfach irgendwann vom Himmel schwebt und dann sofort von der Gruppe aufgenommen wird ohne jemals wirklich zu hinterfragen, wie das überhaupt sein kann und ob das nicht eventuell verdächtig sein könnte. Zum Glück für das Spiel ist Yuki aber wirklich herzig. ;0 
Ein bisschen ungut fällt auch die Produktplatzierung eines bestimmten Energy Drinks auf. "Lifeguard" wird an unterschiedlichsten Stellen im Spiel von den Charakteren getrunken, und das mit ziemlich peinlichen Werbeslogans als Begleitung. Man könnte behaupten, dass das alles mit einem Augenzwinkern zu sehen ist und absichtlich völlig over the top präsentiert wird, aber das kam für mich irgendwie nicht ganz so rüber - es kann ein bisschen nervig sein.
Was manche Spieler auch noch als cringey empfinden könnten ist vielleicht das Lied, das die Go Getters gerne mal "performen", und das ein zentrales Thema in Bezug auf den Zusammenhalt der Gruppe darstellt. Ich persönlich liebe den Song sehr hart, habe ihn oft als Ohrwurm im Kopf und möchte jedes Mal lauthals mitsingen. Die vielen Momente wo er vorkommt könnten für andere allerdings vielleicht doch etwas zu kitschig sein. :D Gleichzeitig hat der Club zwei Erkennungs...äh...Bewegungen? Also nicht unbedingt einen Handschlag, aber quasi ein Begrüßungsritual und einen Motivationsspruch.... Schwer zu erklären, aber wenn man die Handbewegungen und so weiter mitmacht, dann gehört man zum Club. Und man wird mitmachen. Inbrünstig. 

Ich habe übrigens mit englischem Text und englischen Stimmen gespielt. Ich glaube man kann auch die japanische Sprachausgabe wählen, aber ich war mit den englischen Stimmen eigentlich sehr zufrieden. Die waren alle sehr passend gewählt und haben ihre Sache sehr gut gemacht. Im Japanischen wird das sicher nicht anders, oder eventuell eben sogar noch besser, sein. Ich habe allerdings gehört, dass die deutschen Texte relativ fehlerhaft sind, kann das eben aber auch nicht wirklich beurteilen. 


Zusammengefasst kommt es eigentlich sehr stark darauf an wie wenig einen das absolut unbrauchbare Gameplay stört und ob sich das durch die Charaktere, die Atmosphäre, die Geschichte und all den Kram drumherum genug aufwerten lässt. Für mich war es so, obwohl es - vor allem von denselben Schreibern - deutlich aufregendere und abgedrehtere Spiele gibt. Aber ich glaube auch, dass niemand so richtig dem Go Getters Club widerstehen kann, obwohl das ein Haufen 12-jähriger Kinder ist. Man wird in dieser Gruppe Lieblinge finden, und vor allem ihr Zusammenhalt wird so manches Herz erweichen, auch wenn natürlich der Kitsch dabei nicht ausbleibt. Irgendwie wird man sich, wenn man sich darauf einlässt, auch selbst als ein Teil des Clubs fühlen, was mich am Ende dann schon auch dazu gebracht hat ein paar Tränchen zu verdrücken.
Ich sehe also durchaus die Schwächen an dem Spiel, aber meine allgemeine Zuneigung überflügelt das alles vollkommen. Und ich glaube, dass es mit World's End Club durchaus auch einigen anderen so ergehen kann, wenn man dem Titel einfach eine faire Chance gibt. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen