Mittwoch, 23. September 2020

Pier Solar and the Great Architects


Pier Solar and the Great Architects erlangte vor einigen Jahren Berühmtheit, da es zu einer Zeit für den Sega Megadrive entwickelt wurde, in der diese Konsole längst ihren Zenit überschritten hatte. Das Spiel entstand ursprünglich als Community-Projekt in einem Forum, wurde dann aber so groß, dass ein waschechtes Oldschool-RPG daraus werden sollte. Sämtliche Module waren bei Erscheinen bereits vergriffen, und als schließlich 2012 ein Kickstarter für eine HD-Version auf anderen Konsolen (und PC) auftauchte, erhielt Pier Solar wieder erhöhte Aufmerksamkeit. Daher wollte ich das Spiel natürlich, als es dann auf Steam erschien, auch unbedingt haben, ohne irgendetwas über den tatsächlichen Inhalt zu wissen. Hype eben.
Inzwischen ist es beinahe schwer, noch irgendwo ein gutes Wort über Pier Solar zu erhaschen. Nicht nur, dass es da ein paar fadenscheinige Vorgänge bei den Entwicklern/dem Hauptentwickler gab, auch haben mittlerweile natürlich einige Leute das Spiel auch tatsächlich gespielt und bewertet. Und das nicht unbedingt besonders positiv. Ich werde dann die größten Kritikpunkte auflisten und meine Meinung dazu abgeben, aber erst schauen wir uns einmal an worum es eigentlich geht.

Das Spiel beginnt in dem Dörfchen Reja, wo der Vater des Protagonisten Hoston an einer mysteriösen Krankheit leidet. Hoston ist überzeugt, dass bestimmte Heilkräuter hier weiterhelfen könnten, die aber nur in einer sehr gefährlichen Höhle in der Nähe zu finden sein würden. Dort darf er aber natürlich nicht hin, immerhin ist er noch ein Kind (vermutlich so 15?) und nicht einmal Erwachsene gehen dorthin. Gemeinsam mit seinen beiden Sandkastenfreunden Alina und Edessot schleicht Hoston sich aber natürlich trotzdem in die Höhle und setzt damit dann nach und nach weitere Ereignisse in Gang, die natürlich weit größere Ausmaße haben als Anfangs gedacht. Typisch RPG halt. Wobei hier zumindest tatsächlich versucht wurde, die Kinder eine Weile lang nun mal Kinder sein zu lassen, und diese drei von den Erwachsenen (die einem als spielbare Charaktere auf allen Wiki-Seiten einfach unterschlagen werden) erst relativ spät auch tatsächlich in bestimmte Dinge eingeweiht und ernst genommen werden. Dazu aber nochmal später bei den Kritikpunkten.
Gekämpft wird rundenbasiert und man wählt zu Anfang einer Runde die Aktion für jeden Charakter aus. Skills und Zauber werden dabei von jedem automatisch mit Levelanstieg erlernt. Es gibt in der Welt auch ein paar Büchern mit starken oder „Feld“-Zaubern (z.B. Truhen aus einer Entfernung öffnen), aber auch diese werden automatisch von einem expliziten Mitstreiter gelernt.
Im Kampf gibt es neben Angriff und Zaubern noch die Möglichkeit zur Verteidigung, oder zum „Gathern“. Jeder Charakter kann bis zu 5 Punkte "gathern", also ansammeln, mit denen Attacken stärker und manche Skills erst überhaupt einsetzbar werden. Die Kämpfer können ihre Punkte auch an jemand anderen abgeben, und diese Mechanik ist nicht nur das herausstechende Merkmal an den Gefechten, sondern erlauben auch eine gewisse taktische Planung. Aufregend ist das alles zwar nicht, aber es ist zumindest ein etwas anderer Kniff als in anderen RPGs.

Diese Beschreibungen sollten nun hoffentlich ausreichen, um das nötige Grundverständnis für die folgenden Kritikpunkte zu haben, und meinen Ausführungen darüber folgen zu können. Hier also die von anderen oft genannten negativen Dinge an Pier Solar:

1. Die Geschichte kommt zu spät ins Rollen

Oft habe ich gelesen, dass die drei Kinder am Anfang dauernd nur im Dunkeln tappen und nach der Sache mit den Heilkräutern lange Zeit nur Erwachsenen nachzotteln, die ihnen nicht sagen, was Sache ist. Das fand ich sehr übertrieben formuliert. Irgendwie mag ich die Idee sogar, dass die Kinder eben nun mal nicht wie in vielen anderen Vertretern des Genres alleine auf eine Weltenrettung geschickt werden. Das traut ihnen erst mal keiner zu und will ihnen auch keiner anlasten. Es ist dann eben eine fast natürliche Kette an Ereignissen, die doch noch dazu führt, dass Hoston, Edessot und Alina einen essenziellen Teil am Geschehen beitragen. Mich hat nie gestört, dass ihnen Dinge auch mal verheimlicht wurden – gerade wenn man auch Hostons Vater in der Party hat, fühlt sich das sogar logisch an. Er möchte die Ereignisse, in die er schon länger verwickelt ist, in die Hand nehmen, und seinen Sohn so gut es geht von allem fernhalten, wenn er denn nun schon mit auf die Reise muss. Es ergibt schon Sinn! Ja, dadurch passiert über lange Strecken nur hier und da mal etwas Spannendes, was man nicht leugnen kann. Aber ich würde das nicht per se der Herangehensweise ankreiden, sondern eventuell einem zu ambitioniertem Objekt für zu wenig tatsächlich vorhandene Geschichte?
Aber hey, dafür gibt es viele Gespräche zwischen den Charakteren. Aber…

2. Die drei Hauptcharaktere harmonieren nicht so miteinander als würden sie sich lange kennen

Dafür, dass Hoston, Alina und Edessot seit frühen Kindheitstagen befreundet sind, kommt laut manchen Reviews zwischen ihnen diese Dynamik zu wenig zum Ausdruck. Empfand ich jetzt überhaupt nicht so. Okay, vielleicht liegt es daran, dass ich an Hoston und Edessot allgemein wenig Interesse hatte, und ich deshalb auch wenig auf die Beziehung zwischen den Kindern geachtet habe. Ich habe mich viel mehr auf alles mit Kruller, einem der erwachsenen Begleiter, konzentriert, denn der war einfach richtig klasse. Ein rundum toller Charakter, weil er einerseits ein starker und erfahrener Verbündeter war, gleichzeitig aber eine gewisse Naivität hatte. Für mich hat er quasi die ganze Party alleine getragen, das Spiel hätte auch „Kruller und Freunde“ heißen können. Alina mochte ich auch sehr gern, und da es sehr viele Dialoge zwischen ihr und Kruller gibt, konnte ich einfach zufriedengestellt werden.
Allgemein frage ich mich aber schon, wie man diese beiden zu echt brauchbaren Charakteren machen konnte, während der Protagonist Hoston bis kurz vorm Ende kaum eine erwähnenswerte Persönlichkeit bekommen hat, und Zellini (das letzte, permanente Partymitglied) so plump und klischeehaft werden konnte.

3. Einige Themen werden falsch behandelt

Hauptsächlich geht es hier um den Umgang mit Kinderarbeit und Kannibalismus. Diese zwei Dinge kommen nämlich im Spiel vor, werden von den Charakteren aber nur am Rande wahrgenommen oder sind schnell wieder vergessen. Ich sehe das jetzt nicht so eng, auch wenn ich mich gerade beim Kannibalismus echt gewundert habe wo das plötzlich herkommt. Also, das hat auch irgendwie nicht gepasst. Und die Kinder, die in Minen gearbeitet haben, waren irgendwie einfach froh als wir ihren Zug wieder repariert hatten. Ja, okay, ich verstehe die Kritik, aber ich sehe hierin eher eine verpasste Chance für interessante Geschehnisse in der Geschichte als etwas anderes. Der allgemeine Ton des Spiels ist halt ohnehin eher leichtherzig. Was mich übrigens zu einem positiven Punkt bringt! Okay, manchmal sind die Dialoge und Scherze schon sehr plump (ich denke da an die Bergarbeiter-Stadt, wo es nur Männer gibt und eine Frau, die aber lesbisch ist), aber es gibt schon ein paar Sternstunden – vor allem natürlich mit Kruller. Mein Lieblingspart ist immer noch wenn sich die Party in einem Labyrinth verirrt, das offenbar von einer rachsüchtigen Frau für ihren untreuen Ehemann kreiert wurde, damit dieser dort nie wieder herausfindet und elendig zugrunde geht. Kruller sagt dann: „Alina, du bist auch eine Frau, du müsstest doch wissen wo so jemand den Ausgang platzieren würde“. Natürlich in treffenderer Ausdrucksweise, ich kann das nicht gut nacherzählen. Stellt es auch einfach witzig vor. Ich habe jedenfalls herzlich gelacht. :0

4. Alle Gebiete sind unnötig kompliziert und wie Labyrinthe aufgebaut

Ja okay, das kann ich nicht schönreden. Ich habe zur Wegfindung tatsächlich überall einen Guide benutzt *hust*. Damit gings echt gut, aber eigentlich ist es schon echt nervig, wenn man sich selbst in Städten ernsthaft verlaufen kann oder ewig braucht, um vom Speicherpunkt wieder zum Inn zu kommen, weil 15 Dinge den direkten Weg blockieren.

5. Die Kämpfe sind langweilig und dabei teilweise zu schwer

Ersteres ist zumindest in der HD-Version nur bedingt gerechtfertigt, da man die Encounter-Rate nach Belieben einstellen kann (sogar auf Null) und auch die Geschwindigkeit im Kampf sich regeln lässt. Sicher erhöht nichts davon die Spannung, aber zumindest dürften die Gefechte so nun echt für niemanden richtig nervig werden. Zu schwer fand ich das Spiel auch nicht. Vielleicht im ersten Viertel, aber wenn man dann mal gegen jedes Element ein passendes Accessoire zum Schutz hat (neben einem Arsch voll anderer Items, die sich wirklich an allen Ecken und Enden finden lassen) und sich ein bisschen auskennt, kann einem wenig wirklich noch gefährlich werden. Ich habe mit Level 32 (das Höchstlevel ist, glaube ich, 45) drei Mal den Endgegner ohne Probleme besiegt. Für die unterschiedlichen Enden, wovon es nur zwei gibt aber ich beim zweiten Mal natürlich vor lauter Eile dieselbe Wahl wie beim ersten Mal getroffen habe. :'D

6. Minispiele dürfen nicht das Vorankommen der Hauptstory beeinflussen

Äh doch, dürfen sie. Nur diese Minispiele nicht, wenn man sie nicht überspringen kann.
Haha, also zur Erklärung: An einer Stelle muss man Prüfungen bestehen, drei an der Zahl. Die erste besteht aus Schieberätseln, was ohnehin Standard in RPGs ist. Die zweite besteht aus einer einfachen Variante Bomberman, was jetzt auch nicht extrem herausfordernd ist und zumindest bei mir auch nicht lange genug ging, um wirklich zu nerven. In der dritten Prüfung muss Hoston über glatte Stege schlittern, wobei man einfach mit den Richtungstasten um die Ecken kommen muss bevor er irgendwo runterfällt. Auch das fände ich in Ordnung. Also grundsätzlich würde ich nicht verallgemeinert sagen, dass das nicht im Hauptspiel enthalten sein darf. ABER. Die letzte Prüfung ist aufgrund der Steuerung beinahe unschaffbar. Ernsthaft. Ohne Keyboard (also mit Controller) war es mir völlig unmöglich überhaupt irgendwas zu schaffen, mit Keyboard gab es aber auch nur kleine Lichtblicke. Ich habe nachgelesen, aufgrund dieser Stelle haben viele, viele Leute das Spiel abgebrochen, allerdings scheint die Steuerung im ursprünglichen Spiel für den Megadrive ordentlich funktioniert zu haben. Tja, Pech gehabt, HD-Spieler! Und da man diese Prüfung unter keinen Umständen skippen kann, bleibt man hier auch stecken wenn man es nach stundenlangem Probieren nicht irgendwie doch noch schafft. Und im Enddungeon kommen die rutschigen Stege, diese Ausgeburten der Hölle, übrigens zurück.

Ich habe viele der Kritikpunkte weniger stark gewichtet als die meisten Spieler, aber der letzte Punkt hätte mich dann auch fast an den Rande des Wahnsinns getrieben. Und das restliche Spiel ist trotzdem einfach nicht gut genug, um sich mit so einem Ärger herumschlagen zu müssen, ernsthaft. Obwohl beide Enden eigentlich gut gelungen sind - das schlechte gibt Hoston einen ziemlich deutlichen Einschlag was seine ansonsten so subtil präsentierten Charaktereigentschaften betrifft, und das gute Ende ist halt einfach ein sehr schönes Happy End. Vor allem weil Kruller und Alina zusammenkommen. Bestimmt ist das nicht seltsam, weil sie ja wohl sicher alt genug ist. Hoffentlich.

Wenn ich Pier Solar mit den anderen RPGs vergleiche, die ich auch gerade spiele (Final Fantasy VII, Valkyrie Profile Silmeria), dann kann es einfach bei Weitem nicht mithalten. Nichts daran macht jetzt wirklich richtig viel Spaß oder ist besonders spannend, aber es ist wiederum auch nicht so schlecht wie sein Ruf sagt. Das Spiel ist einfach ziemlich mittelmäßig, und wenn man ohnehin schon einen gut gefüllten Backlog hat (wie die meisten Leute, die ich kenne), dann kann man das wirklich ruhigen Gewissens auslassen. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen