Mittwoch, 19. Februar 2020

RiME


Ich hatte bis vor kurzem überhaupt kein Interessan an RiME. Irgendwoher kannte ich das Logo und Titelbild, aber es war ansonsten überhaupt nicht in meinem Bewusstsein. Es gibt aber eine Video-Reihe auf Youtube, die ich Ende letzten Jahres für mich entdeckt habe. Die Friday Features von Rob Pearson, auf dem Kanal PlayStation Access, sind Listen von allen möglichen Dingen, die Videospiele betreffen. Rob ist in meinem Alter, großer JRPG-Fan und scheint allgemein einen extrem ähnlichen Geschmack, und auch ähnliche Anforderungen an Spiele, wie ich zu haben.
Als er daher in einem dieser Videos (eine Liste über gute Spiele, die man theoretisch in einer Sitzung durchspielen kann) sagte: „Lest keine Review, stellt keine Fragen, kauft RiME einfach und spielt es“, habe ich natürlich gehorcht.

Ich wusste also nicht genau was mich erwartet und stürze mich einfach mal ins Geschehen. Das Gameplay des Spiels besteht hauptsächlich daraus kleine Rätsel (meist durch das Spiel von Licht und Schatten) zu lösen und die Gegend mit Hilfe von Sprung- und Kletterpassagen zu erkunden. Letzteres war für mich teilweise schwierig, weil die Steuerung nicht immer exakt genug funktioniert und auch der Blickwinkel auf den Spielercharakter nicht völlig frei einstellbar ist. So verfehlt man manche Sprünge schon mal. Dazu kommt, dass ich zwischenzeitlich in manchen Arealen völlig die Orientierung verloren habe, was am schlimmsten in den vereinzelten Unterwasser-Passagen war. Die Rätsel selbst machen aber dafür Spaß, und die Welt und Orte an sich sind interessant und laden trotz allem zum Entdecken ein.
Die Geschichte wird relativ minimalistisch erzählt. Das Abenteuer beginnt mit einem Jungen, der auf einer Insel strandet. Er muss sich erst einmal zurecht finden und wird dabei ohne viel Erklärungen von einem Ereignis zum nächsten getrieben. Obwohl es keine Texte gibt, weiß man meist ziemlich genau was zu tun ist, und durch Wandgemälde oder Bilder in speziellen Schlüssellöchern, durch die man gucken kann, erfährt man zusätzliche Hintergrundinfos oder bekommt weitere Hinweise zum aktuellen Geschehen. Außerdem bekommt man sehr früh einen kleinen Fuchs als Begleiter, der einen auch den richtigen Weg weist und ungefähr das niedlichste Wesen der Welt ist. <3 Zu alledem kommt dann noch ein ganz ausgezeichnet atmosphärischer Soundtrack, der aktiv emotional zum Geschehen beiträgt. 
Ich würde RiME insgesamt am ehesten als ziemlich genaues Mittelding zwischen Gris und Journey bezeichnen, so lässt es sich eigentlich am einfachsten erklären. Klingt erst mal perfekt, aber ich hatte zeitweise dann doch recht gemischte Gefühle. Um das etwas besser zu schildern werde ich meine Erfahrungen mit den einzelnen Kapiteln einfach mal auflisten.


Kapitel 1

Ein wundervoller Einstieg ins Spiel. Man weiß zwar nicht genau was eigentlich abgeht, aber es gibt gleich mal sehr viel zu entdecken. Die Welt erscheint als hell und freundlich, überall laufen Wildschweine mit ihren Babys herum (man kann die auch mit Früchten anlocken!!11 <3) und man bekommt einen extrem niedlichen Fuchs-Freund. Man lässt sich so ein bisschen von Rätsel zu Rätsel treiben, weiß instinktiv was zu tun ist und wird immer mal wieder mit niedlichen oder schön anzuschauenden Szenen belohnt. Ich war gleich mal richtig entzückt und begeistert, das war irgendwie genau mein Ding. Klar wird hier nur, dass es eine Figur mit rotem Umhang gibt, die einem wichtig zu sein scheint, und dass irgendwo im Hintergrund eine Geschichte über eine Familie lauert. Ich hatte hier gleich die Theorie, dass bestimmt die Mutter des Jungen gestorben ist und es definitiv um einen Verlust geht.

Kapitel 2

Hier wurde mir klar, dass es tatsächlich um die mir bereits aus Gris bekannten Stadien der Trauer geht. Verdrängen, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Dementsprechend repräsentiert Kapitel 2 das Stadium der Wut. Und irgendwie scheint sowas nur durch einen wildgewordenen Vogel korrekt dargestellt zu sein.
Also ich habe Kapitel 2 eigentlich ziemlich gehasst. Zuerst schon mal diese extreme Ähnlichkeit zu Gris, wobei RiME natürlich nichts dafür kann, dass ich das vorher gespielt habe. Aber es hatte trotzdem einen leicht ausgelutschten Effekt für mich. Das größere Problem war aber die ganze Gestaltung des Kapitels. Es gibt quasi zwei Möglichkeiten der Fortbewegung: Unter freiem Himmel musste man ständig unter irgendetwas stehen, weil einen sonst der Vogel aus der Luft geschnappt und zerfleischt hat, oder man durfte tief unter Wasser tauchen. Beides war extrem nervig. Ich glaube bei Ersterem muss ich nicht erklären warum, aber das Tauchen wurde vor allem dadurch erschwert, dass die Orientierung unter Wasser extrem schwierig war.
Ich habe für das Kapitel gefühlt ewig gebraucht, weil ich nicht lange am Stück so frustriert sein konnte. Blöder Scheiß-Vogel, ey, und kack Wasser. Als ich das alles geschafft hatte, war ich gar nicht so sicher ob ich überhaupt weiterspielen soll (naja, natürlich war klar, dass ich das durchspielen werde aber ich würde nicht sagen, dass ich wirklich wollte). Ich war echt frustriert.

Kapitel 3: Verhandeln

Aber dann kam Kapitel 3. Das hat alles wieder gut gemacht. Ich war selbst überrascht, dass ich dann doch wieder so viel Spaß hatte - ich habe das in einem Zug durchgespielt, weil ich einfach so investiert war und diesmal wieder gar keine Probleme mit der Orientierung oder dem Gameplay hatte. Vermutlich liegt das zu großen Teilen an den Sentinels.
Das sind mechanische Wächter mit steinernen stelzenartigen, langen Beinen und einer Art Taucherhelm mit Scheinwerfer als Kopf. Man findet erst mal nur leblose Überreste von denen, aber auch einen, der einen mit einem letzten Aufflackern zeigt, wie man einen neuen Sentinel erschaffen kann. Und das macht man dann, was einfach nur extrem toll und herzzerreißend ist. Der Junge interagiert mit dem Sentinel wie mit einem Haustier, und man entwickelt eigentlich sofort eine Bindung. Etwas später erweckt man mit seinem neuen Freund dann noch mehrere der zuvor unbrauchbaren und leblosen Wächter, und lotst diese durch die Umgebung. Obwohl es hier wie beim Kapitel zuvor Gefahren für den Jungen gibt – nämlich Schatten, die ihm den Weg versperren und ihn jagen – ist das kein Vergleich zu den Abschnitten mit dem Vogel. Ich habe mich nicht nur weniger unter Druck gesetzt gefühlt, sondern hatte auch eine wichtige Aufgabe (nämlich mit und für die Sentinels, statt nur für mich selbst irgendwie weiter zu kommen), für die mir alle Gefahren es wert waren! Zusätzlich gab es im ganzen Kapitel deutlich weniger Potential, die Orientierung zu verlieren, und durch all diese Dinge habe ich dann doch angefangen, RiME richtig, richtig zu mögen.

Kapitel 4: Depression

Dieses Kapitel war dann, nachdem ich endlich so richtig im Spiel angekommen war, kein Zuckerschlecken. Also, vor allem emotional.
Zu Anfang wird eine Szene gezeigt, in der der Junge und sein Vater mit ihrem kleinen Boot in einen Sturm geraten, und der Vater ins Wasser geschleudert wird. Alles klar, denkt man, anscheinend hat der Kleine nach seiner Mutter wohl auch noch seinen Vater verloren. Nicht überraschend, aber natürlich auch nicht so fein. Hier erreicht die Stimmung, die im Laufe der Kapitel nach und nach düsterer wurde, ihren Tiefpunkt. Es ist dunkel, es regnet, die Musik ist nur noch traurig. Nicht nur der Junge, sondern auch der Fuchs scheint zunehmend deprimierter zu werden. Ich habe das erste Mal im Spiel hier echt geweint, und zwar als ein (bzw. bestimmt der, den man selbst „erbaut“ hat) Sentinel sich quasi opfert, um dem Jungen einen Weg freizumachen. Am schlimmsten daran war eigentlich, dass der Junge selbst darauf reagiert, während er die meiste Zeit über ja relativ passiv agiert. Zwar kann man durch einen entsprechenden Knopfdruck auf dem Controller durchaus Laute aus ihm herausbekommen (einen Schrei, leichtes Gesumme oder seltener ein kurzes Schluchzen), und er geht eben auch sehr liebevoll mit seinen Begleitern um, aber als er dann verzweifelt den Sentinel davon abhalten will sich zu opfern, trifft einen das trotzdem richtig hart. Ich habe zusammen mit dem Jungen geweint, und als er dann schon wieder tapfer weitergestapft ist, hatte ich mich immer noch nicht erholt. Und Gott, dann verliert man auch noch den Fuchs. Ich kann nicht beschreiben wie traurig das ist, und wenn ich jetzt daran denke muss ich mir immer noch fast die Tränen zurückhalten. Mein armes, altes Herz.
Das einzige, was mich hier dann doch ein bisschen rausgerissen hat, war der Aufbau des Levels. Es ist eigentlich nur ein großes Gebiet, aber ich habe mich ständig in Sackgassen verlaufen, wusste nicht wie ich an meine Ziele kommen soll, bin drei Mal den falschen Weg hochgeklettert- und gesprungen (und runtergefallen), es war dunkel und die Sicht war nicht besonders gut,… das war leider echt nervig und hat ein ansonsten sehr, sehr emotionales Kapitel ein kleines bisschen runtergezogen.
Aber dann…

Kapitel 5: Akzeptanz

Das Kapitel beginnt mit dem Plottwist des Spiels. Hier sieht man nun, dass nicht der Vater vom Boot gefallen ist, sondern der Junge. Und nicht der Junge muss einen Verlust überwinden, er ist der Verlust. Ich habe das überhaupt nicht kommen sehen, und es hat mich richtig getroffen. Man spielt dann nur noch den Vater, der allein in seinem Haus ist und in das Zimmer des Jungen geht. Dort sind alle Spielzeuge, die man als optionale Sammelstücke (neben vielen anderen sammelbaren Geheimnissen) im Spiel gefunden hat und man kann aus dem Fenster schauen und das Boot sehen. Es bleibt dann nur noch, den Jungen quasi symbolisch gehen zu lassen, und das alles ist wirklich sehr, sehr traurig. Ich glaube ich brauche eigentlich gar nicht explizit erwähnen, dass ich da die ganze Zeit eigentlich nur noch geheult habe (mache es aber trotzdem). Und mit diesem gelungenen Abschluss war ich dann wirklich mit allem komplett versöhnt, wenn auch gleichzeitig natürlich ein bisschen zerstört.
Es gibt übrigens auch die Möglichkeit, den Geist des Jungen mit dem seiner Mutter wieder zu vereinen, aber dazu habe ich nicht die nötigen optionalen Sachen gefunden. Das ist aber dann vielleicht nochmal eine Spur härter und noch mehr zum heulen.^^ 


Zusammenfassend kann ich nun sagen, dass RiME dann doch noch ein Erlebnis war, das ich jedem nur ans Herz legen kann. Es ist sicher nicht perfekt, aber die Schwächen sind halt gerade auch welche, die mich persönlich besonders frustrieren können (also ungenaue Sprungpassagen und Orientierungsschwierigkeiten) und für andere vielleicht gar nicht so gewichtig sein müssen. Aber selbst mit meinem zeitweise aufflammenden Ärger hat mich das Spiel so berührt und abgeholt, dass ich es bestimmt lange in Erinnerung behalten werde. Zusätzlich sind die Entwickler, Tequila Works, ein sehr spielernahes Team, das man wirklich gerne unterstützt. Ihnen und ihren Spielen sollte man viel Aufmerksamkeit schenken.
Also kauft alle RiME! Ich weine derweil in Erinnerung daran noch weiter ein bisschen in mich hinein.

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