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Montag, 13. Mai 2024
PARANORMASIGHT: The Seven Mysteries of Honjo
Die Screenshots und die Beschreibung von Paranormasight wollen uns weißmachen, dass es sich hier um eine Visual Novel mit Horrorelementen handelt. Auch über die ersten zwei bis drei Spielstunden hinweg könnte man meinen, dass diese Genrebeschreibung korrekt ist. Aber dann.
Plötzlich ist der Horror verflogen, und man hat eine waschechte Mystery Visual Novel vor sich, in der es viel mehr darum geht, Geheimnisse zu lüften als sich zu gruseln. Und naja, wir wissen alle, dass das für mich persönlich der bestmögliche Ausgang ist. Ich mag Detektivarbeit deutlich lieber als Angst. Das mag nicht jedem so gehen, und gerade nach der ersten Route erwartet man irgendwie ein Spiel, das sich anders anfühlt, als es dann der Fall ist, aber es war damit halt einfach wie für mich gemacht. Ich bin voll auf meine Kosten gekommen – nicht nur wegen dem Genre an sich, sondern auch weil die Details einfach alle zusammenpassen und -stimmen.
Grundsätzlich geht es um ein Ritual, das einen beliebigen Toten wieder zum Leben erwecken kann, wenn man genug Seelen von anderen Menschen sammelt. In der mysteriösen Nacht, in der die Ereignisse des Spiels ins Rollen kommen, werden neun sogenannte „Curse Stones“ an bestimmte Personen verteilt, die mit diesen unter bestimmten Bedingungen völlig spurenlos morden können. Die Seelen dieser „Curse Bearer“ sind auch deutlich mehr wert als andere, wodurch so eine Art Death Game entsteht (oder entstehen soll, denn das ist nach der ersten Route eigentlich schon vom Tisch).
In einer Art Tutorial spielt man einen jungen Mann namens Shogo Okiie, der den Curse Stone vom „Whispering Canal“ erhält. Erst nachdem man mit diesem Charakter eine volle Nacht durchgespielt hat, und mit ihm die geläufigen Mechaniken für das Spiel erlernt, geht eigentlich der Hauptteil von Paranormasight los. In diesem übernimmt man die Rolle von drei anderen Curse Bearern, die je eine eigene Route haben. Sie alle bekommen auch einen eigentlich unbeteiligten Partner an ihre Seite, und all diese Synergien funktionieren sehr gut. Es ist ein Leichtes, die Charaktere lieb zu gewinnen, wirklich. Das wirklich Coole daran war für mich aber, dass sie alle irgendwie eine Verbindung untereinander haben – fast alle NPCs und Hauptcharaktere haben irgendwelche Überschneidungen, manchmal ohne dass sie sich eigentlich direkt kennen, und es war so eine Freude, diese Verbindungen nach und nach herauszufinden.
Ich fand auch das Pacing ganz ausgezeichnet, nachdem ich mich erst einmal daran gewöhnt hatte, dass man doch nicht mordend durch die Gegend läuft (wie man es bei Shogo durchaus getan hat), sondern pazifistisch versucht auf die Geheimnisse hinter dem Ritual zu stoßen. Es gibt in Paranormasight viele Plottwists, die aber nicht alle bis zum Ende aufgespart werden. Vielmehr bekommt man ständig Antworten auf die vielen aufgeworfenen Fragen, und irgendwie immer zur richtigen Zeit. Oft wenn ich eine Ahnung in eine bestimmte Richtung hatte, wurde meine Vermutung etwas später bestätigt und im Spiel aufgelöst, aber ohne dass es plump gewirkt hätte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das Spiel wollte zu diesen Zeitpunkten immer, dass der Spieler kurz vor den Enthüllungen auch selbst darauf kommt. Das pusht das Hobby-Sherlock-Ego!
Kurz gesagt: Es gibt im Spiel vielleicht nicht so extreme Höhen wie in manch anderen Vertretern des Genres, aber dafür zumindest für mich auch keinerlei Tiefen.
Ich fand auch die Mythologie im Spiel recht beachtenswert, eben die namensgebenden „Seven Mysteries of Honjo“ (die eigentlich neun sind). Zuerst dachte ich, dass das bereits existierende Mythen sind (warum auch immer), aber sie sind eigens für das Spiel erschaffen worden – natürlich trotzdem inspiriert von bestimmten Schauergeschichten. Im Endeffekt hatten diese aber mehrere Ebenen: Die Sagen, die sich aus der Edo-Periode aus wahren Begebenheiten gesponnen hatten, eben die wahren Begebenheiten dahinter (die immer blutrünstiger waren als die Überlieferung) und schließlich noch die Verbindung all dieser Bruchstücke zu einer zusammenhängenden Geschichte. Ich war echt beeindruckt! Da hat es mich selten wirklich gestört, dass man viele Informationen im Menü nachlesen muss, statt dass sie im Spiel erwähnt werden (gerade bei Hintergründen zu Charakteren war es manchmal etwas nervig).
Trotz der Wurzeln in tatsächlich in der Spielwelt stattgefundenen Ereignissen ist Paranormasight aber alles andere als bodenständig. Also, innerhalb der eigenen Gesetze durchaus - wie gesagt bleiben alle Twists relativ human in Bezug auf Hanebüchenei (ist das ein Wort?), aber es gibt in dieser Welt Übernatürliches. Zwar bleibt die Frage, ob und wie das Rite of Resurrection explizit funktioniert ein bisschen offen, aber die Flüche, Geister, Wiederauferstehungen und anderes Okkultes sind Vorkommnisse, die im Spiel wirklich passieren und auch nicht nur subtil angedeutet bleiben. Heck, wäre die Sache mit Yakko und Michiyo nicht so ergreifend gewesen, hätte ich vielleicht ein wenig mehr damit gehadert, dass die ganze Besessenheitssache so mir nichts dir nichts von allen Charaktere anerkannt worden ist. Sie war aber eben ergreifend, und alle beteiligten Personen sind halt einfach top. Ich kann mich bis heute nicht entscheiden, ob ich Yakko und Mio (vor allem Mio) als Duo besser finde oder Tetsuo und Erio (vor allem Erio). Nur Harue ist mit Richter leicht abgefallen, aber hier waren sie durch die Backstory einfach dazu gezwungen, mehr ihr eigenes Ding zu machen und nicht mit den anderen so zusammenzuhalten, wie die es nun mal getan haben. Es ist nicht deren Schuld, sie sind auch gut gelungene Charaktere. Ich liebe auch das Design von Harue.
Eigentlich liebe ich das komplette Design vom ganzen Spiel seeeehr. Es ist nur schade, dass es gar keine vertonten Dialoge gibt, aber naja, dafür macht der Soundtrack echt was her.
Das Gameplay bietet einige kleine Abweichungen von dem, was man von sonstigen Mystery Visual Novels so erwarten würde. Ich habe auf der Switch gespielt, was eventuell manchmal schon ein wenig clunky war, aber ja nicht wirklich dem Spiel an sich angekreidet werden kann. Ich bin sicher, die PC Version funktioniert hier einwandfrei. Dafür muss man dort aber wohl auf die Vibration in Schockmomenten verzichten.
Grundsätzlich macht man die meisten Dinge über Dialoge, und man kann sich auch in der Umgebung umsehen (meistens aus der 1st Person Ansicht), um relevante Gegenstände anzuklicken. Letzteres ist schon ziemlich minimalistisch, hat aber ein paar Kniffe. Es ist zum Beispiel tatsächlich öfter relevant, wo man hinsieht. Am prominentesten kommt das vor, wenn man mit dem Curse von Shogo, dem Whispering Canal zu tun hat - denn der kann eingesetzt werden, wenn man sich vom Anwender abwendet. Und abwendet meint hier tatsächlich, sich als Spielfigur in die andere Richtung zu drehen. Richtig klasse. Allerdings passieren auch sonst manchmal Dinge auf den statischen Screens, wenn man wo anders hinsieht. Teilweise hat das sogar ein bisschen einen Jumpscare-Effekt, wenn man sich zum Beispiel nur aus der Not heraus, weil man gerade keine anderen Ideen mehr hat, umdreht und plötzlich steht ein NPC hinter einem. :D
Gerade hinsichtlich der Flüche gibt es noch einige nette Spielereien. Sie alle haben wie der Whispering Canal eigene Bedingungen, die erfüllt werden müssen. Das sind teilweise recht einfache Sachen, wie wenn man angelogen wird (sehr nützlich in Konversationen, weil man als Curse Bearer Tetsuo jederzeit erkennen kann, wenn ein Gesprächspartner flunkert), aber auch recht obskure. Yokkos Curse hat ein Zeitlimit und noch andere Bedingungen, und es hat mich jetzt nicht gewundert, dass der nicht oft zum Einsatz kam. xD
Also, alle Charaktere, die man spielt, behaupten mindestens ihren Partnern gegenüber, dass sie ihre Flüche nicht benutzen wollen, als Spieler kann man das aber trotzdem manchmal machen. In den Fällen, wo es relevant ist, bekommt man aber dafür gerne ein Bad Ending oder es funktioniert irgendwie doch nicht (was aber immer recht logisch erklärt wird). Oder, wie bei Shogos Tutorial-Route, der Fluch wird einfach immer eingesetzt, ob man will oder nicht.
Dies ist allerdings kein Fehler, sondern volle Absicht. Man wird vom Spiel, oder eher von einem mysteriösen Charakter namens "Storyteller", der nicht innerhalb der Geschichte um die Seven Mysteries mitmischt und nur mit dem Spieler kommuniziert, wiederholt darauf hingewiesen: Wir sind nicht Shogo, genausowenig wie wir später Harue, Tetsuo oder Yukko sind. Wir begleiten sie nur. Wir sind jemand anderes.
Ohne jetzt das alles genau zu beschreiben hängen viele Gameplay Mechaniken auch damit zusammen, dass man als Spieler alle Routen verfolgen kann (oder muss, denn das Flowchart ist nicht offen, sondern muss in einer ziemlich strikten Reihenfolge abgearbeitet werden) und dieses Wissen anderswo einsetzen kann. Was einige solcher Games schon gemacht haben, hat sich für mich hier trotzdem nicht lahm angefühlt. An manchen Stellen hatte ich deshalb sogar Gänsehaut, also fand ich persönlich es offensichtlich ziemlich gut implementiert und rübergebracht. Und die Erklärung am Ende, warum man das als Spieler überhaupt kann und wer man ist, hat mir auch ausgesprochen gut gefallen.
Ich war einfach rundum mit dem ganzen Erlebnis zufrieden.
Da Paranormasight auch eine ziemlich überschaubare Spielzeit hat (ich habe ca. 12 Stunden für alle Routen, alle Bad Endings und das True Ending gebraucht), würde ich es also wirklich absolut ohne Einschränkungen weiterempfehlen. Man darf halt keinen Horror erwarten, aber eine wirklich tolle und runde Mystery-Geschichte mit übersinnlichen Elementen und teils sehr dunklen Themen, die nicht zu viel an Zeit in Anspruch nimmt.
Für mich eines der Highlights des Jahres! <3
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