Donnerstag, 29. Oktober 2020

Theresia


Wieder einmal habe ich mich an etwas für mich Neues gewagt, ein Horror-Adventure bei dem man sich in First Person schrittweise durch einen dungeonartigen Komplex bewegt. Zwar durchsucht man feste Schauplätze bzw. die zahllosen Räume in gewohnter Adventure-Manier, indem man auf einem Screen die Umgebung anklickt um mit Dingen zu interagieren bzw. Items zu finden oder Rätsel zu lösen. Zwischen diesen einzelnen Interaktionspunkten erfolgt die Fortbewegung aber eigentlich wie in Spielen wie Wizardry oder einigen Shin Megami Tensei Spielen, nur halt ohne dabei auf Gegner zu stoßen. Die meisten der Rätsel bestehen eigentlich daraus, mehr und mehr Wege durch das riesige Gebäude zu finden, um am Ende irgendwie entkommen zu können. Dabei muss man nicht nur Schlüssel oder Gegenstände wie einen Vorschlagammer (um durch Wände zu brechen) finden, sondern vor allem auch die zahllosen Fallen vermeiden, die überall lauern. Wobei ich mit „überall“ zum Glück nur die festen Screens meine (bei denen man Fallen durch aktive Interaktion auslöst), stößt man im „Bewegungsmodus“ auf etwas Gefährliches wie Landminen oder vergiftete Bereiche, gibt es immer die Möglichkeit vorzeitig zu reagieren.

Trotzdem wird man in der Erkundung sehr, sehr vorsichtig. Die zu Beginn namenlosen Protagonisten beschreiben zwar oft recht gut was sie sehen und geben so Hinweise auf gefährliche Handgriffe (die Frau mehr als der Mann), aber zu 100 Prozent kann man sich auch darauf nicht immer verlassen. Ausgelöste Fallen verletzen die spielbaren Charaktere, die so natürlich auch sterben können, aber dazu müsste man schon wirklich sehr unachtsam sein weil fast alle zum Glück nur einen Bruchteil der Lebenspunkte abziehen. Es geht dann eigentlich eher darum, so unversehrt wie möglich weiter zu kommen, was durchaus Spaß macht. Zumindest ich habe mich immer richtig gefreut wenn ich eine Falle zwar ausgelöst habe, die Verletzung aber durch kluge Kombinationsgabe vermeiden konnte, zum Beispiel durch Nutzung eines feuchten Tuchs auf einer heißen Türschnalle. In jedem Fall spielt man hier natürlich ganz anders als bei jedem anderen Adventure (das ich bisher gespielt habe), und das habe ich vor allem zu Beginn echt genossen.
Zusätzlich dazu habe ich immer schon Spiele toll gefunden, die an einem relativ begrenzten Schauplatz stattfinden (also eben in einem einzelnen Gebäude), bei denen man nach und nach immer mehr Räume erforscht und sich durch Schlüsselsuche und Rätsellösung neue Zugänge erschafft. Vor allem wenn das auch noch in sich sinnvoll geschlossen ist - da findet man dann mal nach einiger Zeit wieder eine Abkürzung zu einem Schauplatz, den man viel früher besucht hat, und wo es noch eine verschlossene Tür gibt, zu deren Öffnung man inzwischen den richtigen Gegenstand gefunden hat. Schwer zu erklären, aber es ist hoffentlich klar was ich meine. Das ist zum Beispiel auch ein Hauptgrund warum ich Resident Evil 1 sehr viel lieber mag als 2 und 3, weil ich die Villa als Schauplatz Raccoon City erheblich vorziehe. Auch Koudelka bietet ein Beispiel dafür was genau ich damit meine.

Wie auch immer, ich habe ja schon von mehreren Protagonisten gesprochen, aber man spielt immer nur einen. Theresia ist nämlich in zwei Teile aufgeteilt, „Dear Emile“ und „Dear Martel“. In beiden Parts erwacht der jeweilige Charakter in einem Raum und kann sich an nichts erinnern. Dear Emile stellt hierbei den Hauptteil des Spiels dar. Hier steuert man eine weibliche Protagonistin, die sich durch ein echt ENORMES Anwesen rätselt. Dieses besteht aus drei unterirdischen Stockwerken, einem quasi Erdgeschoss mit Garten, und einem Obergeschoss. Nach und nach erfährt man über zurückkommende Erinnerungen und auffindbare Tagebucheinträge wofür diese riesige Einrichtung genutzt wurde, welche Personen dort noch so lebten und welch schreckliche Dinge dort geschahen. Der „Horror“ im Spiel liegt hierbei ganz und gar nicht in einer aktuellen Bedrohung – es gibt keine Zombies oder Geister oder sonst etwas Übernatürliches – sondern in der Einsamkeit, dem Unwissen was hier tatsächlich geschehen ist, und den grotesken Überbleibseln aus offenbar längst vergangener Zeit. Es wird relativ schnell enthüllt, dass die Mutter eines Mädchens (das dann natürlich die Protagonistin ist) eine extrem zentrale Rolle spiel, die als eine Art Folterknecht im Krieg gearbeitet und stets nach Blut gerochen hat. In diesem Umfeld bricht ein extrem schrecklicher, tödlicher Virus aus, der nicht nur viele Opfer fordert, sondern im Krieg eine bedeutsame Rolle spielt. Es werden nach und nach Puzzlestücke über alle Ereignisse, die bis zum Aufwachen der Protagonistin führen, gesammelt, und am Ende kann man sich sogar noch eine gut gemachte chronologische Zusammenfassung ansehen.

Über die 12 Stunden, die ich für Dear Emile gebraucht habe, geht es aber hauptsächlich trotzdem immer um die Beziehung der Tochter zu ihrer Mutter, und oft wiederholen sich hierbei die grundlegenden Aussagen. Dass die Mutter gerne gefoltert hat, ihre Tochter völlig besitzergreifend nicht von ihrer Seite ließ und das Mädchen selbst ebenfalls eine recht ungesund wirkende Abhängigkeit von der „Liebe“ ihrer Mutter entwickelt hat. Und dauernd wurde vom Blutgeruch gefaselt, wirklich dauernd. Für meinen Geschmack hätte das alles teilweise ein wenig gekürzt werden können, da man streckenweise das Gefühl hat nicht viel Neues zu erfahren für den Aufwand, den man grundsätzlich in das Spiel steckt. Der „Aufwand“ kommt nicht direkt durch die schiere Größe des Schauplatzes, bei dem sie es irgendwie tatsächlich geschafft haben, ihn mit sinnvollen Räumen zu füllen (wo man selbst schon zu Beginn denkt was denn auf den anderen Stockwerken bitte noch alles sein soll, aber das hat sich für mich bei jeder neuen Entdeckung dann extrem logisch angefühlt). Er kommt vor allem durch die sehr langsam Laufgeschwindigkeit und das Backtracking, das leider manchmal notwendig ist. Ersteres trägt anfangs sehr zur Stimmung bei, wird aber halt nach so vielen Stunden dann doch nervig. Und Zweiteres ist leider manchmal tatsächlich ärgerlich. Zwar schafft man sich glücklicherweise im Verlauf des Spiels einige Abkürzungen, aber das hat wenig Einfluss darauf, dass ich auf dem Weg zu einem wichtigen Raum 7 Felsbrocken mit Handgranaten wegsprengen muss, ich aber zu jeder Zeit nur zwei gleichzeitig tragen kann und deshalb drei Mal Nachschub holen muss. In echt langsamen Lauftempo. Sowas ist einfach unnötig.
Wenigstens hat man am oberen Bildschirm des DS immer die Karte des aktuellen Stockwerks, mit der man sich auch genauere Beschreibungen der besuchten Räume (und bisheriger Sackgassen) ansehen kann, und ich hatte so zumindest eigentlich kaum Schwierigkeiten mit der Orientierung – obwohl alle Gebiete so riesig und mit Zimmern vollgestopft waren!

Naja, auf jeden Fall ist Dear Emile trotz einiger Ärgernisse und der etwas zu langen Spielzeit sehr atmosphärisch, fesselnd und einnehmend. Ich hätte danach aber definitiv erst mal genug gehabt von dem Ganzen. Es bleiben auch relativ wenige Dinge augenscheinlich unbeantwortet – eigentlich ist die Geschichte der Protagonistin fertig erzählt und gibt es nur eine Sache, die hier angeteasert wird. Martel eben.
Zu Beginn von „Dear Martel“ hat meine Neugier darüber eigentlich nicht ausgereicht, um noch mehr Stunden mit diesem Spielprinzip zu verbringen. Hier erwacht man diesmal mit einem Mann in einem ganz anderen Gebäude, kann aber nach Fund der Karte dann erleichtert aufatmen. Der Schauplatz diesmal fällt schon auf den ersten Blick deutlich weniger ausufernd aus als in Dear Emile.
Auch ansonsten ist der Auftakt motivierender als zuerst gedacht, denn die Rätsel sind nicht so zahlreich und die Laufwege eben auch nicht so lang. Mir kam sogar vor, dass dieser zweite Part ein ganz kleines Bisschen „polierter“ daherkam – es gab mehr Close-ups auf Gegenstände und alle Türen waren in jedem Screen extra anwählbar, was der Steuerung über den Screen zu Gute kommt, aber kaum einen Unterschied macht wenn man viel mit dem Steuerpad des DS macht.
Auf jeden Fall macht Dear Martel dann doch mehr Spaß als man nach so einem langen ersten Part erwarten würde, weil es einfach kompakter ist und eine Geschichte erzählt, von der man nicht wusste, dass man sie noch hören will. Es geht darum wie und wo der Epicari Virus, der im ersten Part so eine tragende Rolle spielt, eigentlich entstanden ist, wobei darin natürlich wieder die persönliche Geschichte des Protagonisten eng verwoben ist - und eigentlich ist diese tragischer als die Hauptstory. Die Spielzeit beträgt lediglich ein Drittel des ersten Parts und ist dann doch ein schöner Abschluss von allem.

Um allerdings wirklich alle Geheimnisse völlig aufzudecken gibt es noch optionale Schriftstücke zu finden, wofür eine Voraussetzung ist über den Spielverlauf von Dear Emile nur drei Heiltränke zu verwenden. Das ist blind dann wahrscheinlich doch ziemlich unmöglich, es fehlen einem aber ohne das wirklich nochmal Enthüllungen, die ein bisschen ein anderes Licht auf manche Ereignisse werfen. Die Optionalität ist ein bisschen schade, andererseits gefällt mir aber die zusätzliche Information an sich, weil sie der Story eben echt nochmal einen bestimmten Kniff gibt.

Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Atmosphäre in Dear Emile sehr viel dichter und bedrohlicher ist. Das Gebäude ist grundsätzlich interessanter und die Geschichte bietet zwischendurch ein paar Details, die einen an der Stange halten, weil man durch die Länge vermutlich auch ziemlich investiert ist. Bei Dear Martel ist alles dafür leichter über- und durchschaubar, wodurch sich ein etwas „runderes“ Erlebnis ergibt. Das Finale war hier übrigens wirklich richtig klasse.
Neben der langsamen Fortbewegung und dem Backtracking (von dem es in Dear Martel deutlich weniger gibt) habe ich noch einen Kritikpunkt, und das ist die Musik. Grundsätzlich passt dieser zu jeder Szene und beeindruckt vor allem beim ersten Hören, aber es gibt dann im Gesamten leider nur sehr wenige Stücke. Meist ist auf jedem Stockwerk genau eines dieser Stücke zu hören, was in Story-Szenen schon unterbrochen wird, aber trotzdem sehr wenig Abwechslung bietet. Vor allem bei der recht imposanten Orgelmusik an einer Stelle wird das Zuhören nach kurzer Zeit ziemlich anstrengend.

Insgesamt ist Theresia aber auf jeden Fall eine Erfahrung wert und sicher kein schlechtes Spiel. Zwar erfordert es manchmal schon auch Durchhaltevermögen, aber wenn man darüber hinweg sehen kann bekommt man ein sehr atmosphärisches Abenteuer mit zermürbender aber interessanter Story, deren Puzzleteile sich am Ende zufriedenstellend zusammenfügen. Und hey, Geschichten über tödliche Viren sind eh grade zeitgemäß.

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