Samstag, 21. September 2013

Für River - To the Moon

To the Moon ist eigentlich kein besonders herausforderndes Spiel, wenn man es überhaupt als solches bezeichnen möchte. Das Gameplay besteht im Wesentlichen daraus, fünf "Memory Links" zu finden, mit denen man durch die Erinnerungen von Johnny reisen kann, der sich wünscht auf den Mond zu fliegen. Zwei kleine Ausflüge zu Minispielen gibt es (wo man einmal auf eher frustrierende Weise einen Hindernisparcour inklusive Schießpassagen mit Blumentöpfen hinter sich bringen muss), ansonsten gibt es aber wirklich nicht viel mehr. Das braucht es aber auch gar nicht.
To the Moon erzählt eine Geschichte, die man vielleicht auch auf einem anderen Medium unterbringen hätte können, aber die durch die Präsentation, Musikuntermalung und eigene Interaktion dann als Spiel doch sehr gut funktioniert. Obwohl man sich nur so an die fünf Stunden durch Johnnys Erinnerungen klickt und der Plot sich erst langsam zu voller Größe entfaltet, wird man ohne es zu merken in die Welt hineingezogen - gegen Ende findet man sich dann plötzlich völlig aufgelöst vor dem Bildschirm wieder und fragt sich, wie viele Packungen Taschentücher einen dieses Abenteuer eigentlich gekostet hat.
Also, die Geschichte ist der zentrale Teil von "To the Moon" und auch irgendwie das einzige, was zählt. Gefällt sie einem nicht, braucht man das Spiel überhaupt nicht zum Ende bringen und wird es wahrscheinlich auch unglaublich schlecht finden. Ich war aber begeistert.

Grundsätzlich geht es darum, einem sterbenden Menschen seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts arbeiten bei einer Organisation, die dies möglich machen kann. Dazu werden die Erinnerungen des Patienten so geändert, dass er sein Ziel zu Lebzeiten erreicht und dann glücklich sterben kann. Nichts von alledem passiert also wirklich, aber der Sterbende weiß das im Endeffekt natürlich nicht, er erinnert sich ja an das, was geändert wurde.
Johnny möchte jedenfalls auf den Mond. Eva und Neil haben am Anfang keine Ahnung vom Leben ihres neuen Patienten, denn selbst seine Haushälterin und deren Kinder wissen nicht viel über den alten Mann. Sie wissen nur, dass er an einer Klippe mit einem Leuchtturm lebt, offenbar einen Tick für weiße Papierhasen hat und ein Lied für eine gewisse "River" geschrieben hat. Er selbst kann ihnen auch nicht viel helfen, da sein Zustand sehr kritisch ist und die Doktoren nur über seine jüngste Erinnerung mit ihm kommunizieren können, die nur eine Momentaufnahme ist. Es gilt also erst einmal herauszufinden wer Johnny war, warum er überhaupt zum Mond möchte (denn er hat selbst keine Ahnung sondern verspürt nur den brennenden Wunsch) und wie man ihn am einfachsten dort hin bringen kann. Durch gewisse Gegenstände bewegt man sich also im Rückwärtsgang durch das Gedächtnis des alten Mannes und stößt dabei auf viele kleine Details, die später noch wichtig werden.
Anfangs denkt man aber eigentlich, man könne die ganze Geschichte schon voraussehen und ist daher wenig überrascht, dass es primär einmal um die verstorbene Frau von Johnny geht - River. Aber was wirklich in dieser Liebesbeziehung steckt, entpuppt sich erst nach und nach.

Die Erzählweise von "hinten nach vorne" (also von den spätesten Erinnerungen bis zu welchen in der Kindheit) ist wirklich gut gewählt - so bleibt eine gewisse Spannung aufrecht. Warum macht River die Papierhasen? Wieso steht Johnny so auf eingelegte Gurken? Was hat er seiner Frau gebeichtet, dass sie danach so deprimiert war?
All das sind Fragen, die man sich stellt, aber von denen man sich keine aufregende Antwort erwartet.
Erst wenn man auf eine Kindheitserinnerung stößt, die nicht mehr ganz zu sein scheint, vermutet man, dass sich da noch etwas Gröberes verbergen muss. Und nachdem man vergeblich versucht, die Mondlandung von Johnny in die Wege zu leiten, ohne seine frühe Kindheit zu lüften, wird man auch gleich in einen riesigen Plottwist geworfen, bei dem ich wirklich angefangen habe, das Spiel zu lieben.

Erst einmal findet man heraus, dass Johnny als kleiner Junge eigentlich einen Zwillingsbruder hatte, der eines schönen Tages beim Ballspielen von der Mutter unabsichtlich überfahren wurde. Und plötzlich macht so vieles Sinn - alle Vorlieben, die Johnny später hat, sind eigentlich die Vorlieben seines Bruders gewesen (zum Beispiel, dass er eingelegte Oliven so gern hatte) und in gewisser Weise musste er das Leben von "Joey" weiterführen. Die Mutter ist leicht durchgedreht und nannte Johnny ohnehin nur noch Joey, während der Kleine starke Medikamente nehmen musste, um über den Verlust hinweg zu kommen. Nun, eben dadurch wurden die Erinnerungen an Joey vollkommen ausgelöscht und Johnny weiß bis kurz vor seinem Tod nicht mehr, dass er überhaupt einen Zwillingsbruder hatte.
So weit so gut. Ich war da schon vollkommen überrascht, aber die Krönung kam gleich in der nächsten Erinnerung, die Eva und Neil freilegen konnten.
Dort sind Joey und Johnny auf einem jährlichen Jahrmarkt und Letzterer trifft zum ersten Mal auf River. Der geneigte Spieler denkt ja eigentlich, dass das erste Treffen der beiden in der Schule stattfindet, wo Johnny River nur "aufreißen" will, weil sie anders ist als die anderen (sie leidet an Autismus), und er sich damit auch zu etwas Besonderem machen will. In Wahrheit kennen die zwei sich aber seit Kindheitstagen, oder besser gesagt seit diesem einen Abend. Der Abend, wo sie einen Hasen in den Sternen suchen. Der Abend, an dem er ihr das Schnabeltier schenkt. Der Abend, wo sie abmachen, dass sie sich auf dem Mond wieder treffen, sollten sie sich aus den Augen verlieren.
Meine Güte, diese Szene ist so bedeutsam, ich habe selten so rumgeheult. xD Jedes Detail der Geschichte findet hier seine Auflösung - endlich weiß man, wieso River die Papierhasen dauernd gemacht und Johnny damit gelöchert hat. Sie wollte ihn an den Abend in ihrer Kindheit erinnern und konnte es nie fassen, dass er das einfach vergessen hatte. Durch ihren Authismus war sie aber auch nicht fähig, es ihm einfach zu sagen. Endlich erkennt man, dass das Schnabeltier, das sie bis zu ihrem Tod immer bei sich hatte, nur so bedeutsam ist, weil sie es von Johnny hat, auch wenn er nichts mehr davon weiß. Und es wird sogar gelüftet, warum River Leuchttürme (und vor allem "Anya", den Leuchtturm an der Klippe) so mag - weil sie denkt, Sterne wären einsame Leuchttürme und sie irgendwann mit einem Freundschaft schließen will. Das Wichtigste an der ganzen Geschichte findet man auch heraus: Warum Johnny auf den Mond will. Und es bricht einem das Herz.
Denn der alte Johnny will nur auf den Mond, weil River nicht mehr da ist. Er erinnert sich nicht an die Abmachung mit ihr, sondern fühlt nur, dass dies der Ort war, an dem sie sich wieder treffen wollten. Nach ihrem Tod verspürt er also einfach nur den brennenden Wunsch ins All zu reisen, unwissend dass es bloß wegen River ist, mit der er doch ohnehin sein Leben verbringen konnte. Deshalb wollte er während all der "frei zugänglichen" Erinnerung nie zum Mond, weil er dort River eben bei sich hatte. Um den Auftrag also ausführen zu können, gibt es nur eine Sache, die Eva und Neil ändern müssen: Rivers Dasein. Nur durch die Sehnsucht, zu ihr zu gelangen, würde Johnny alles Mögliche tun, um zum Mond zu kommen. Aber warum sollte man genau das entfernen, das immer das Wichtigste in Johnnys Leben gewesen war, nur um ihm einen Wunsch zu erfüllen, der genau durch das ausgelöst wurde, was unternommen werden musste? (kann mir noch jemand folgen?)

Ich war so entsetzt, ich kann es kaum beschreiben. Neil weigert sich jedenfalls vehement dagegen, Johnnys Erinnerungen so zu ändern, aber Eva kennt da keine Gnade - dafür hasst man sie und mag Neil plötzlich überraschenderweise.^^ Auftrag ist Auftrag, und es würde harte Konsequenzen haben, wenn sie ihn nicht abschließen würden. Also sieht gegen Ende die gute Dr. Rosalene zu, dass Johnny River in der Schule nicht mehr treffen wird und legt somit den Grundstein für seine Karriere als Astronaut. Als Wiedergutmachung lässt sie aber immerhin Joey den Unfall überleben, und so wird das Leben von Johnny H. Wyles völlig neu geschrieben...
Joey wird, begleitet von dem gefühlvollen Song "Everything's Alright", bei dem man Gänsehaut bekommt, erfolgreicher Autor und Johnny ein ehrgeiziger Anwärter für einen Flug zum Mond. Meine Güte, das war so traurig. Denn auch wenn es insgesamt vielleicht ein angenehmeres Leben ost, so fehlt doch der eine Mensch, der immer das Wichtigste gewesen war. Wenn zwei Leute in irgendeiner Geschichte zusammen gehören, dann sind es Johnny und River.
Zum Glück beruht so eine besondere Liebe aber auch auf Gegenseitigkeit. Denn River, die ihrerseits Johnny ja auch nicht mehr treffen konnte, fühlt genau dasselbe wie er. Wegen ihm setzt sie alle Hebel in Bewegung, um ebenfalls Astronautin zu werden und ihn auf dem Mond wieder sehen zu können. Das war so wunderschön. <3
In den letzten, neuen Erinnerungen von Johnny fliegt er mit seiner River gemeinsam ins All, und man kann sehen wie gücklich sie beide sind. Es ist etwas traurig, dass ihr Leben so eigentlich perfekt gewesen wäre - denn selbst die autistische River konnte einen normalen Alltag führen und starb wahrscheinlich dann auch erheblich später als in der Wirklichkeit. So gesehen gab es also schon irgendwie ein Happy End, aber dann auch wiederum nicht.

Johnny stirbt am Ende natürlich, und man weiß als Spieler, dass er zwar glücklich dabei ist, aber auch, dass all das nicht der Wahrheit entspricht. Vielleicht ist es für ihn auf diese Weise im Endeffekt besser, aber es ändert nichts daran, dass River trotzdem das Leben geführt hat, das wir "geändert" haben. Und auch wenn es für sie bestimmt in Ordnung war, schien sie doch auch oft unglücklich - eben weil sie nie aus ihrer eigenen Welt fliehen konnte und sich nicht einmal von ihrem Geliebten verstanden fühlte - sie versuchte es ja auch gar nicht.
Irgendwie hat das mich und vor allem meine Gefühle echt verwirrt. Ich habe mich so für Johnny gefreut, als River in der geänderten Erinnerung bei der NASA aufgetaucht ist, aber es blieb immer so ein bitterer Beigeschmack. Weil man nicht vergessen kann, wie es wirklich war und trotzdem ein bisschen mit den Charakteren leidet. Für das, dass das Spiel nur fünf Stunden lang dauert, baut es wirklich unglaublich schnell eine Bindung und tiefe Gefühle auf. Ich bin jetzt noch ganz hin und weg.

Für mich war "To the Moon" also ein tiefgreifendes Erlebnis, und neben der wundervollen Atmosphäre möchte ich vor allem noch den extrem tollen Soundtrack herausheben. Ohne den wäre die Geschichte nur halb so toll gewesen - gerade "Everything's Alright", "Für River" und "Moonwisher" sind Stücke, die ich oft noch als Ohrwurm habe und bei denen ich jetzt noch gleich losheulen könnte. Oder das wundervolle Intro... oder das Ending Theme... oder.... ;)
Also Hut ab für das herausragende Talent, eine so kurze Geschichte absolut mitreißen und wundervoll zu erzählen, dass es einem durch Mark und Bein fährt, wenn man daran zurückdenkt. Es war wirklich eine einzigartige Erfahrung. <3

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