Freitag, 4. März 2022

Backbone und die Bewertungen auf Steam


Backbone ist mir letztes Jahr hauptsächlich deshalb erstmals aufgefallen, weil Waschbären meine Lieblingstiere sind. Und weil ich die Detektiv-Thematik ganz allgemein seeehr mag und eigentlich viel öfter Spiele damit spielen sollte. Naja, die hübsche Pixel-Grafik hat natürlich auch geholfen.
Als das Adventure dann erschien hagelte es recht viele schlechte Reviews auf Steam, vor allem von Kickstarter-Backern, was ich zwar schade, aber auch nicht unbedingt wirklich bedenklich fand. Wahrscheinlich hatten die sich halt einfach etwas anderes erwartet. Es schien prinzipiell bei der Kritik auch hauptsächlich eher um die späteren Kapitel und das Ende zu gehen.
Wirklich so richtig erholt haben sich die Bewertungen bis heute nicht, und das gab dann auch irgendwie jetzt den Auschlag, dass ich mir Backbone doch mal geholt habe - mit dem festen Vorhaben gegebenenfalls ein positives Review zu schreiben. Meine Gründe das Spiel zu kaufen hatten sich schließlich nicht geändert, der Waschbär-Detektiv in der hübschen Pixelgrafik waren ja ganz offensichtlich immer noch da! ;0
Aus irgendeinem Grund war ich überzeugt davon, dass ich Backbone gut bewerten können würde, vielleicht weil allgemein das Bewertungssystem auf Steam so seine Macken hat und ich mich doch relativ häufig damit beschäftige.

Es gibt eben nur "Empfohlen" oder "Nicht empfohlen" und man muss sich als Schreiber entscheiden. Das funktioniert für Interessenten, wenn man sich mit den Reviews beschäftigt und auch tatsächlich ein paar liest, denn die Schreiber vermerken oft ausführlich positive und negative Aspekte und man kann selbst einschätzen warum ein Spiel eine bestimmte Bewertung hat. Deshalb konnte ich mir zumindest sicher sein, dass die Qualität von Backbone schon stimmen würde, selbst wenn die Geschichte vielleicht abstrus werden oder am Ende gerusht wirken könnte - laut den gängigsten Kritiken.
Wenn man sich die Arbeit jetzt aber nicht macht dann sieht man, dass das Spiel nur "60% der Nutzer gefallen hat", was für ein ordentliches Indie-Spiel dieser Qualität auch für Steam-Verhältnisse eigentlich ziemlich schlecht ist. Das ist im Kontext schon fast nicht mehr als nur mittelmäßig einzustufen.
Ich kann niemandem verbieten eine schlechte Bewertung abzugeben wenn ihm das Spiel nicht gefallen hat, vor allem weil tatsächlich viele Reviews triftige Gründe und ordentliche Kritik bieten, warum es eben keine Empfehlung gibt. Aber gerade durch die strikte Unterteilung in nur "Ja" und "Nein" ohne Abstufungen (oder ohne Abgrenzungen nach Thematik - oft gibt es auch schlechte Bewertungen aufgrund technischer Dinge, die mit Inhalten selbst überhaupt nichts zu tun haben) gibt es hier so einen Extremfall, wo das betreffende Spiel es halt wirklich trotzdem ein bisschen besser verdient hätte.
Denn das kann ich jetzt ja aus Erfahrung sagen - die einzige Möglichkeit dem Ganzen entgegen zu wirken war nun mal nicht mehr nur zu spekulieren, sondern mir selbst ein Bild zu machen.


Backbone spielt in einer dystopischen, von Tieren bevölkerten Welt im Noir-Stil. Dystopisch deshalb, weil die Stadt, die als Schauplatz dient, offenbar von einer riesigen Mauer umgeben ist und davon ausgegangen wird, dass sich außerhalb davon nur postapokalyptisches Ödland befindet - innerhalb dieser Mauer merkt man aber relativ wenig von diesem Umstand. Das Leben ist verhältnismäßig normal, nur dass die Kluft zwischen arm und reich wirklich gigantisch zu sein scheint, Klassenunterschiede eine große Rolle spielen und halt einfach niemand dieser Einteilung und der Stadt an sich entfliehen kann.
Wir spielen also Howard Lotor, einen Waschbären, der sich als Privatdetektiv über Wasser hält. Ihr ahnt es sicher bereits, Waschbären befinden sich eher am unteren Ende der Nahrungskette. Er übernimmt den Auftrag einer verzweifelten Otter-Frau, ihrem Mann nachzuspionieren, dem sie unterstellt eine Affäre zu haben. Sehr klassisch also. Weit weniger klassisch ist die Auflösung des Ganzen: Howard findet am Ende des ersten Akts im Spiel zwar den Ehemann, dieser ist aber nicht nur ziemlich tot (wenig überraschend), sondern wird gerade zu feinstem Fleisch verarbeitet, um vermutlich irgendwo appetitlich garniert zum Abendessen serviert zu werden.
Hier endete, soweit ich weiß, die Demo des Spiels und viele Leute, die später enttäuscht waren, hatten diese gespielt. Ich kann schon verstehen, dass das in eine ganz bestimmte Richtung deutet, die man auch für alles Weitere erwartet. Und das Gameplay bietet ein paar mehr Kniffe als später. Neben der üblichen Beschäftigung Informationen durch Gespräche herauszufinden gibt es hier kurze Schleichpassagen, man muss ein Passwort mit einem ganz simplen Rätsel herausfinden und es gibt zwei unterschiedliche Lösungswege, um in ein Gebäude zu gelangen.
Trotzdem war das gar nicht das, was mich am Spiel am meisten gehooked hat, ich fand die Interaktionen manchmal sperrig (was natürlich ein technisches Problem ist, das man vielleicht einfach nicht komfortabel lösen konnte und deshalb manche Sachen einfach später weggelassen hat?) und mochte diesen ersten Schauplatz auch noch gar nicht soo. Für mich fing Backbone eigentlich erst an im zweiten Akt zu glänzen.


Im zweiten Akt versucht man dann natürlich, zusammen mit einer klugen Fuchsdame namens Renee, mehr über die furchtbaren Machenschaften von Eisbärdame Clarissa herauszufinden, die für die Zerschnetzelung des Otters und sicherlich einiger anderer verantwortlich sein musste. Howard folgt hier ein paar Spuren, die ihn an zwei Orte in der Stadt führen, an denen es viel zu sehen gibt. Man kann mit vielen Bewohnern und Passanten sprechen, ohne dass es tatsächlich zur Hauptstory beiträgt, und das wurde wirklich richtig stark umgesetzt. Alle Leute haben Persönlichkeit und relevante Dinge zu sagen; Man kann zum Beispiel zwei ältere einsame Individuuen versuchen zu verkuppeln, oder seinem Taxifahrer ein schmutziges Kreuzworträtsel mitbringen, damit er sich die Zeit vertreiben kann während man selbst ermittelt, oder gratis Nüsse von einem Stand abstauben. Natürlich dauern diese Dinge alle nicht lange und sind einfach nur schmuckes Beiwerk, aber sie machen die Welt lebendig. Die Dialoge sind gut geschrieben und lassen einem immer die Wahl, wie Howard selbst so drauf ist, was sich überraschenderweise auch nie wirklich mit der Hauptstory widerspricht - obwohl diese komplett linear ist und man keinerlei Einfluss darauf hat.
Wie schon gesagt speckt das Gameplay auch immens ab und besteht recht früh, eben auch schon während Akt 2, hauptsächlich daraus sich mit Gesprächen von Information zu Information vorzuarbeiten. Relevante Items, die man irgendwie selbst nutzen muss oder könnte gibt es übrigens gar nicht, obwohl man theoretisch ein Inventar hat - auch hier wird durch Dialogoptionen entschieden, ob man etwas einsetzen will wenn man es denn auch hat.

Auf jeden Fall hat mich die wirklich liebevoll und detailreich gestaltete Welt wirklich sehr davon abgelenkt, dass ich eigentlich hauptsächlich nur Herumlaufe und mit Leuten spreche, und sich eben am Verlauf der Dinge auch nicht viel ändert - aber ich hatte im zweiten Akt halt trotzdem deutlich mehr Spaß als im ersten.
Und dann war es eh schon um mich geschehen, denn diese fundamentalen Dinge ändern sich trotz eines Story-Twist in eine im Vergleich zum Anfang ganz andere Richtung und eines recht abrupten Endes nicht. Die detailreiche Welt und die interessanten Charaktere bleiben.
Mein Lieblingspart im ganzen Spiel (das kann ich jetzt sagen, weil ich es aufgrund von Achievements inzwischen bereits zwei Mal durch habe) ist sogar erst im vierten Akt, wo der Twist schon geschehen ist und Howard ohne Renee kurzzeitig Zuflucht bei einer Gruppe Fremder findet. Der Schauplatz selbst ist relativ klein, aber gespickt mit mehreren NPCs, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann. Oh, und wie ich das getan habe. Ich meine, der Unterton hier ist sehr melancholisch, aber neben meiner Trauer habe ich sehr viel andere Emotionen auch noch gespürt - positive wie Dankbarkeit und Zusammenhalt - und das war einfach so, weil mir die Situation so überzeugend nahe gebracht werden konnte.
Und genau aus demselben Grund war ich auch am Ende traurig - weil mich gar nicht so sehr interessiert hat wie schnell das dann doch alles ging, oder welche Fragen genau offen blieben (mit der Konklusion zwischen Clarissa und Renee war ich sogar sehr zufrieden), sondern ich einfach nur mit Howard mit gefühlt habe. Und ihn wiederhaben wollte so wie früher - was genau genommen erst so drei Stunden her war. Und noch ein einziges Mal wenigstens mit ihm durch die Straßen schlendern wollte.
Das liegt nicht nur daran, dass er ein Waschbär ist. Das liegt durchaus auch an der Qualität der Inhalte, die die Entwickler mir mit Backbone geboten haben. Was übrigens neben der tollen Welt und Dialoge auch die gute Musik, die echt beeindruckend schöne Pixelgrafik und coolen Artworks mit einbezieht.
Auch wenn es kaum mehr Gameplay gab, und auch wenn es immer nur noch einen richtigen Weg gab, und auch wenn am Ende irgendwie alles umsonst war und viel zu schnell abgehandelt wurde: Trotzdem ist das hier ein Werk der Liebe und kein schlechtes Spiel. Zumindest sicher kein 60%-Spiel. ;)

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