Sonntag, 8. Juni 2025

Citizen Sleeper


Erinnert sich noch jemand an mein unbeliebtestes Spiel des letzten Jahres, The Captain? Nein? Das ist vielleicht auch besser so. Citizen Sleeper ist von der Grundidee her sehr ähnlich, unterscheidet sich aber in Präsentation und Gameplay dann doch in vielerlei Hinsicht. Und vor allem: Es ist dabei ein richtig gutes Spiel. 
Man schlüpft in die Rolle eines Sleepers, und ich bin nicht komplett sicher, ob ich je vollständig verstanden habe, was das überhaupt ist. Ich denke es ist ein Bewusstsein (oder ein Gehirn) in einem Androidenkörper, das vorher einem normalen Menschen gehört hat. Dieser hat sich aber quasi an eine Firma verkauft, um für diese irgendwelche Aufgaben zu erledigen. Sleeper sind die, die schließlich von dort geflohen sind (oder es auch nur versucht haben und weniger Erfolg hatten), und eigentlich keine guten Aussichten auf ein eigenes Leben haben - denn abgängiges Firmeneigentum wird natürlich zerstört, bevor es in die falschen Hände gerät. 
Irgendwie so ist das, oder? 
Wie auch immer, unser Hauptcharakter ist also ein Sleeper, der auf einer Raumstation landet, die "The Eye" genannt wird. Dort gibt es erst einmal einige Dinge, um die man sich kümmern muss, damit man überhaupt überlebensfähig wird. Man braucht eine bestimmte Substanz, weil man sonst langsam zerfällt (auch quasi eine Sicherstellung dieses Konzerns, damit sich das Sleeper Problem auch von selbst erledigen kann und die Abhängigkeit zu jeder Zeit gegeben ist), muss sich irgendwie mit Essen versorgen und schließlich auch noch irgendwie des Trackers entledigen, der im eigenen Körper fest eingebaut ist. 
Gleichzeitig lernt man viele, interessante NPCs kennen, hilft ihnen oder auch nicht, lernt die Station und all ihre eigenen kleinen Viertel kennen, schließt sich Gruppierungen an, kauft oder findet nützliche Ersatzteile, hackt sich in die verborgenen Systeme des Eyes ein, lernt zu kochen oder verzockt sein Geld in einer Bar. Es gibt sehr viele Aktivitäten, und sie alle leben von ausufernden Beschreibungen und Dialogen, was Citizen Sleeper vor allem zu einem narrativen Erlebnis macht.

Jeden Morgen erwacht man mit einer Anzahl an Würfeln (wie viele hängt von der körperlichen Verfassung ab) und kann sich damit an verschiedenste Aufgaben wagen, von denen ich ein paar ja gerade aufgezählt habe. Dazu wählt man aus der Vogelansicht bestimmte Hotspot der Raumstation an. Dort kann man dann in einem oder mehreren Feldern die Beschreibung der Aufgabe lesen, die Auswirkungen bei Erfolg oder Nicht-Erfolg, und schließlich einen Würfel einsetzen, wenn man eine Aktion durchführen möchte. Hohe Augenzahlen erhöhen natürlich die Chancen, etwas zu schaffen. Es gibt außerdem ein Skill-System, mit dem man Boni auf bestimmte Würfe bekommt und sogenannte Perks freischalten kann, die einem das Sleeper Leben etwas erleichtern - zum Beispiel die Möglichkeit, mit gefundenem Schrott den Körper selbst ein wenig reparieren zu können. 
Da man höchstens 5 Würfel pro Tag hat, gibt es immer eine Beschränkung, wie viel man machen kann, was vielleicht nervig klingt, aber in der Praxis einen motivierenden Effekt hat. 
Bei einigen Aufgaben gibt es Zeitlimits, aber sie sind selten stressig und genau genommen kann man eigentlich fast alles innerhalb eines Durchgangs schaffen. Die Beschränkung übt also, wenn man mal ein Gefühl dafür entwickelt hat, eigentlich kaum Druck aus, sondern fördert es einfach, jeden Tag Prioritäten zu setzen und einen Plan zu haben. Da es so viele Aufgaben und damit verbunden so viele NPCs gibt, die man kennenlernen kann, gewinnen sie irgendwie auch nochmal an Wert - Feng oder Lem immer jemand anderem vorzuziehen, gibt der Verbundenheit zu ihnen einen zusätzlichen Schub. Zumindest kam es mir so vor, und es ist auch echt irgendwie schwierig, das nachvollziehbar zu erklären.^^" 


Im Endeffekt kann man aber eben sowieso viel mehr machen als man zu Beginn denkt, bevor das Spiel wirklich zu Ende ist. Es gibt mehrere Endings, aber man kann zumindest ganz normal weiterspielen, wenn man The Eye nicht verlässt. Ich gehe allerdings eigentlich davon aus, dass man sowieso bei seinem Spielstand weitermachen kann, da ich nur ganz zum Schluss einmal eine Warnung bekam, dass ich alle Dinge erledigen soll, die ich möchte, und danach kamen auch erstmals die Credits, ohne dass ich weitermachen konnte. 
Also ja, ich habe in meinem Verlauf nur Enden gewählt, in denen ich auf der Station geblieben bin, weil ich wollte, dass mein Sleeper dort bleibt - mit allen Freunden, die ich gewonnen hatte und den vielen vertraut gewordenen Orten. 
Citizen Sleeper schafft es nämlich richtig gut, einen in seine Welt zu ziehen. Es wird immer Charaktere geben, die man mehr mag, und welche, die man weniger mag, aber man wird Lieblinge finden. Es gibt nicht nur eine große Auswahl and NPCs, ihre Geschichten und die Dialoge mit ihnen sind auch wahnsinnig gut geschrieben. Dazu kommt noch eine ziemlich einzigartige Atmosphäre, die einen in seinen Bann zieht; die Kombination aus Artstyle, Musik und melancholischen oder philosophischen Texten und Moralfragen erzeugt eine ganz einnehmende Stimmung. 
Daher passt es auch gut, dass man - wie bereits erwähnt - nicht wirklichem Stress ausgesetzt wird. Erledigt man viele Aufgaben, und darum geht es eigentlich ja als einzigstes in dem Spiel, dann erhält man so viele Skillpunkte, sodass es irgendwann ziemlich egal wird, wie gut oder schlecht man in etwas gestartet ist. Man hat später auch alle Ressourcen vielfach zur Verfügung und gerät kaum noch in Geldnöte. Und obwohl man es als Spieler dahingehend also durchaus recht leicht hat, fühlen sich die Stakes trotzdem hoch an. Eben durch die Narrative, weil man nun mal diesen einen Charakter nicht enttäuschen, und diesen anderen Charakter keiner Gefahr aussetzen möchte. 


Ich habe gehört, dass Citizen Sleeper 2 an der Schwierigkeit ein wenig geschraubt hat, weshalb ich noch zögerlich überlege, ob ich es spielen will. Für mich war der erste Teil so wie er war recht perfekt, dass eben die eigentliche Herausforderung meine moralischen Vorstellungen und Wünsche für die NPCs oder den Sleeper selbst waren, und nicht stressiges Gameplay. Ich weiß auch nicht, wie gut ich mich auf die Texte konzentrieren kann, wenn ich ständig nervös im Hinterkopf behalten muss, was mir unbedingt gelingen muss oder der nächste Schritt sein sollte. Ich werde mich dahingehend noch informieren. Den ersten Teil kann ich aber auf jeden Fall sehr empfehlen, zumindest wenn einem viele Texte bei niedrigen Anforderungen an die eigenen Gaming-Skills, nichts ausmachen. Für mich hat sich das Erlebnis wirklich gelohnt. 

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