Dienstag, 10. Januar 2023

True Remembrance


Meine Visual Novels haben gefälligst Entscheidungen zu beinhalten, sonst bringt das ja alles nichts!! Dachte ich. 
True Remembrance hat überhaupt keine Entscheidungen oder Gameplay in irgendeiner Form, es erzählt einfach eine Geschichte von Anfang bis zum Schluss, ob ich will oder nicht. ;0 Es hat schon einen Grund, warum ich diese Art von Visual Novel (Kinetic Novel?) bisher gar nie ausprobieren wollte: Ich schätze meine Aufmerksamkeitsspanne für "Spiele", in die ich nicht eingreifen kann, für als nicht besonders hoch ein. 
Nun ergab es sich aber, dass jemand, dessen Meinung mich moderat interessiert, über True Remembrance angegeben hat, dass es seine allerliebste Visual Novel sei. Naja, also wie kann ich mich da dann noch wehren?

In True Remembrance geht es um eine Welt, in der eine Pandemie dazu führt, dass viele Menschen sich selbst das Leben nehmen. Die Krankheit ist dabei psychischer Art, und es braucht für eine mögliche Heilung Menschen, die fähig sind, Erinnerungen zu löschen. Dafür wurde ein ganzes Dorf wie eine Art Pandemie-Zentrum erbaut, in der die "Ärzte", genannt Mnemonicide, wohnen und ausgewählte Patienten behandeln. Besonders schwere Fälle müssen eine ganze Zeit lang als Gast bei einem Mnemonicide leben, um geheilt zu werden. Am Schluss, wenn alles erfolgreich abgewickelt wurde, verlieren die Patienten auch die Erinnerung an ihr Leben in diesem Dorf, womit die Behandlung schließlich als komplett abgeschlossen gilt. 
Die Geschichte beginnt mit Blackiris, einem sehr fähigen Mnemonicide, und wir beobachten, wie er auf seinen nächsten Patienten trifft: Ein Mädchen namens La, das einfach nicht aufhören kann zu weinen, und offenbar ein recht schwieriger Fall ist. Das Spiel über begleitet man die beiden dann im Zeitraum eines Monats durch unterschiedliche Situationen, lernt dabei immer mehr von dieser Welt kennen, trifft unterschiedliche Persönlichkeiten und erfährt einiges über die Protagonisten. Natürlich gibt es auch die ein oder andere Wendung in der Geschichte - am Ende selbstverständlich eine besonders große (und großartige). 
Das beschreibt die VN jetzt relativ nüchtern, während man sie liest fühlt man sich aber ganz anders: Ziemlich emotional.


Das beginnt schon ganz am Anfang, wo im Englischen sofort auffällt, dass die Texte einfach unglaublich gut geschrieben sind. Spielend leicht wird man erst einmal in den Bann der geschriebenen Worte gezogen. Sobald man dann den Protagonisten Blackiris kennenlernt, hat man etwas Neues, von dem man sich begeistern lassen kann. Er ist von Beginn an sympathisch, obwohl er eigentlich so einiges versucht, vor seinem "Gast" La (und dem Leser) den beinahe gegenteiligen Eindruck zu erwecken - zumindest so als wäre ihm eigentlich alles völlig egal. Das ganze wirkt allerdings überhaupt nicht erzwungen oder aufgesetzt edgy, sondern extrem natürlich. Es ist wirklich geschickt gemacht, dass Blackiris einerseits nachvollziehbar, menschlich und vielschichtig erscheint, während er sich als Charakter trotzdem einzigartig anfühlt. Ich will damit nur sehr ausführlich ausdrücken: Wer ihn nicht liebt, der hat ein Herz aus Stein!!! !! 11 
Ähnliches trifft auf La zu, die zwar ganz anders, aber ihm ein gutes Gegenstück ist, und die man definitiv sofort lieb gewinnt. Für mich war Blackiris zwar definitiv das größere Highlight, aber das sind schon Abstufungen auf sehr hohem Niveau - beide Protagonisten sind einfach sehr gut gelungen. 
Die Geschichte nimmt sich auch gut Zeit, sie wirklich kennenzulernen. Anfangs erleben wir scheinbar unzusammenhängende Geschichten aus der Sicht von Blackiris und La, die uns ihren Charakter, aber auch mehr von der Welt allgemein, näher bringen. Wenn es dann schließlich wirklich ernster wird, ist man längst viel zu invested, um nicht mitzufiebern. Es bleibt dabei auch nicht nur bei den zwei Hauptcharakteren, auch die wenigen Nebencharaktere und deren Hintergründe wissen zu gefallen. 
Dramaturgisch wurde hier auf jeden Fall alles richtig gemacht.


Natürlich muss man bei einer Kinetic Novel auch auf den Zeichenstil zu sprechen kommen, ohne den es ja dann auch nicht geht. Es gibt von True Remembrance eine DS-Version, wo der Stil eklatant geändert wurde und... ich finde den nicht gut. Für sich selbst sind die meisten Bilder sicher voll okay, aber im Vergleich zur Ursprungsversion sind die Figuren zu "glatt", zu "fein", zu "seelenlos". Zumindest ich empfinde es so. Blackiris sieht aus wie ein stets genervter Kiffer-Dude. In der originalen Grafik sieht er aus wie jemand, dem gerne alles egal wäre, der seine Maske aber nicht dauernd aufrecht erhalten kann, also einfach wie er. Und La ist nicht das wunderschönste Mädchen der ganzen Welt, wie einem manche der neuen Bilder weißmachen wollen, sondern wie jemand mit Charakter. 
Gut, aber ich will mich nicht weiter aufregen, ich hab ja die richtige Version gelesen. ;0 
Überhaupt gibt es nicht wirklich etwas, was ich sonst kritisieren könnte. Vielleicht, dass manche Dinge offen bleiben, die nur die Nebencharaktere betreffen - ich meine damit vor allem Irina, bei der man nie erfährt, warum sie Erinnerungen verlieren wollte, obwohl ihre Familie sie nicht aufgegeben hatte. Aber es stört nicht einmal so wirklich, dass auch etwas offen bleibt, also schreibe ich das eigentlich nur, damit ich wenigstens noch irgendetwas bemängeln kann. 
Ansonsten stimmt nämlich so ziemlich alles, und diese Visual Novel versetzt einen mit allen Zutaten - also dem Writing, den Charakteren und auch dem melancholischen Soundtrack - in eine ganz eigene Stimmung. 
Ich möchte die Erfahrung jedenfalls nicht missen (und ich möchte vor allem Blackiris nicht missen) und kann die Geschichte wirklich jedem wärmstens Empfehlen. Ich bin gespannt, wie viel Eindruck sie dieses Jahr dann im Gesamten wirklich bei mir hinterlassen wird. Momentan bin ich guter Hoffnung. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen