Freitag, 6. März 2020

VA-11 HALL-A: Cyberpunk Bartender (not-)Action


Mein erstes Spiel auf der Switch! VA-11 Hall-A (im Nachfolgenden einfach Vallhalla genannt) eignet sich eigentlich perfekt für diese Konsole. Von der Art der Erzählung und Präsentation würde ich das Spiel am ehesten als Visual Novel bezeichnen, auch wenn das Gameplay relativ einzigartig ist - inzwischen vielleicht nicht mehr ganz so, aber ich glaube es war zumindest das erste seiner Art. Statt der Geschichte durch Entscheidungen zu folgen, und die Charaktere durch Dialogoptionen näher kennen zu lernen, mixt man als Barkeeperin Drinks für die vielfältige Kundschaft. Ich selbst habe nicht immer durchschaut, ob sich durch meine Bedienung jetzt tatsächlich etwas großartig verändert, aber es muss wohl so sein, da es mehrere Enden gibt und man wirklich bei keinem Gespräch als Spieler Mitspracherecht hat. Zum Glück ist der Hauptcharakter Jill aber leicht zugänglich – sie verhält sich weitestgehend neutral, sodass man sich gut hineinversetzen kann, wirkt gleichzeitig aber auch nicht wie ein lebloser Avatar. Die Protagonistin ist mit eines der Dinge, die ich an Vallhalla am besten bewerten würde. Natürlich gibt es auch noch ein paar andere positive Sachen zu erzählen – aber selbstverständlich auch ein paar negative.

Grundsätzlich spielt man also Jill, die in der Bar VA-11 Hall-A, also im alltäglichen Sprachgebrauch Vallhalla, als Barkeeperin arbeitet. Das Ganze spielt in einer dystopischen Zukunft, wo Teile der Welt in einem riesigen Erdbeben im Meer verschwunden sind, während in der florierenden Stadt Glitch City Korruption und Kriminalität an der Tagesordnung stehen – genauso wie jegliche Arten von technologischer Modifikation (auch von Körperteilen), Zusammenleben mit menschenähnlichen Robotern oder etwa sprechenden Snackautomaten. Alkohol in dem Sinn gibt es kaum mehr und ist für Normalos vor allem nicht mehr erschwinglich, weshalb man in der Bar auch so Sachen wie schnödes Bier aus mehreren chemischen Komponenten zusammenmixen muss. Der Job ist also nicht ganz so unterfordernd wie das klingen mag.
Jedenfalls ist die allergrößte Stärke des Spiels das Worldbuilding. Hier wurde ein Szenario erdacht, das mit unglaublicher Detailvielfalt glänzt, das mit eigener Geschichte und eigenen berühmten Persönlichkeiten aufwartet, und das sich als komplex und tiefgründig anfühlt. Neben den Gesprächen mit der Kundschaft kann man in Jills Wohnung auch Nachrichten und Blogs lesen, was wirklich zur Immersion beiträgt. Man entwickelt hier schnell ein Gefühl für die Welt und die Zeit, in der die Geschichte stattfindet. Viele Details sind auch gar nicht relevant, machen alles aber einfach lebendig – und das meist sogar ohne einen mit viel zu überladenen Texten zu überhäufen. Es gibt zwar unglaublich viele Informationen, aber ich hatte nur selten das Gefühl, dass das Lesen in Arbeit ausartet oder mir wirklich zu viel wird.

Jedenfalls beginnt ein Tag damit, dass man sich im Appartement von Jill noch ein paar News durchlesen oder Sachen für die Wohnung kaufen kann, und dann geht man in die Bar. Dort hat Jill einen Kollegen namens Gillian, der meistens eigentlich nur putzt, und eine Chefin namens Dana. Beide waren mir sehr sympathisch und erschaffen gleich ein vertrautes Umfeld. Dann kommen hintereinander ein bis zwei Gäste, die Jill entweder schon kennt (und man wird fast nebenbei auch als Spieler mit denen vertraut gemacht), oder erst kennen lernt. Es gibt meist interessante Gespräche – oft über die jeweiligen Berufe der Kunden oder Vorkommnisse in der Stadt – und zwischendurch bestellen die Leute immer mal wieder einen Drink. Im Großteil der Fälle sagen sie einfach was sie wollen, aber es gibt auch ein paar Denkaufgaben. Zum Beispiel bestellt ein Kerl namens Donovan am ersten Tag ein großes Bier, und verlangt darauffolgend eigentlich immer nur noch „das Übliche“ – das so jetzt mal als simpelstes Beispiel. Es ist also auch erforderlich, bei all den Gesprächen wirklich aufzupassen und sich die Leute zu merken. Durch eben das gute Worldbuilding ist das aber echt nicht besonders schwierig.

Was mir wiederum weniger gefallen hat, war das… wie soll ich sagen… schnelle Abdriften ins Sexuelle. Ich weiß nicht wie ich es sonst ausdrücken soll, aber zwischen den Möglichkeiten, die eine futuristische Welt bietet, hat man sich halt schon auch sehr darauf konzentriert, dass man beispielsweise Roboter zum sexuellen Vergnügen benutzen kann. Eine Kundin und Freundin von Jill ist sogar eine Lilim (so werden eben die Roboter genannt), die Modifikationen speziell für den Beischlaf besitzt und als Beruf eben gegen Geld die Menschen beglückt. Was mich einerseits daran stört ist, dass sie halt aussieht wie 14. Das wird auch thematisiert – sie ist natürlich in Wahrheit viel älter und blablabla, aber dass sie so aussieht, um viele Kunden zu bekommen, halte ich eigentlich schon für problematisch genug. Und es wird dann auch dauernd darüber geredet. Der Charakter an sich ist eigentlich nicht unsympathisch, aber das ständige Gerede über die doppelte Zunge für ausgefallene Oralpraktiken ging mir manchmal einfach auf die Nerven. Auch Abseits dieses Charakters driften die Gespräche manchmal ein bisschen ins absurd-Sexuelle ab. Ich fand witzig, dass beispielsweise an einem Tag alle Gil vom Gesicht ablesen konnten, dass er kürzlich Sex hatte, aber nach dem fünften Mal wird diese Erwähnung dann auch irgendwie ermüdend. Auch dass die lesbische Protagonistin ihrer Exfreundin mal alle Dildos versteckt hat, diese daraufhin eine Gurke benutzte, die einen Tag später im Salat landete, hört sich für mich nicht nach einer natürlichen Erzählung an. Ich habe nichts dagegen, wenn solche Themen zur Sprache kommen solange es irgendwie natürlich wirkt, aber das wirkte für mich deplatziert und als ob irgendjemand einfach nur eine lesbische Fantasie einbauen wollte. 

Ansonsten gibt es noch ein paar Anime- Klischees und –Verrücktheiten, die mich aber selten wirklich gestört haben. Die Masse war vielleicht ein wenig zu viel. Als irgendjemand es auch noch für eine gute Idee hielt, Jill eine Art von Halluzination zu verpassen, war meine Geduld dann doch ein wenig überstrapaziert. Das kommt relativ spät im Spiel auf und war für mich einfach nur nervig. Ich fand weder interessant, ob das nun irgendein technisches Hologramm ist, ein Geist aus der Vergangenheit, oder die Protagonistin ein bisschen verrückt sein soll, es hätte einfach weggelassen werden sollen. Das hat es zu dem Zeitpunkt einfach nicht mehr gebraucht. Vor allem weil die Sache im normalen Spielverlauf auch gar nicht aufgelöst wird. Wie sehr viele Themen. Ich dachte zwischendurch mal, dass an einem bestimmten Datum der Shit abgehen wird, weil da im fiktiven Internet etwas angeteasert wurde, aber es passierte dann gar nicht viel. Beziehungsweise passierte der Shit so, dass er auf Jill und ihren Alltag keinen wirklichen Einfluss hatte, und bloß zwei Stammkunden davon betroffen waren. Die mochte ich beide zwar sehr, aber die haben dann halt in der Bar davon erzählt, sind dann wieder gegangen und das Leben ging weiter.


Es wird also so gut wie niemals wirklich aufregend. Zwar muss Jill mal zwischendurch einen Schicksalsschlag verkraften, aber davon abgesehen gibt es nichts, was ihren Alltag in einer dystopischen Zukunftsstadt wirklich berührt. Insgesamt waren es dann mehrere Sachen, die ich für Story-Hooks hielt, die entweder gar nicht recht relevant wurden oder eben von weiter Ferne aus betrachtet werden konnten. Man entwickelt auch durchaus Vorlieben für bestimmte Charaktere, aber meine Meinung nach trotzdem keine wirklich emotionale Bindung zu irgendjemanden. Ich habe also Drinks gemixt, mich unterhalten, und dann war ich wieder zu Hause. Nicht mal das Ende ist besonders aufregend. Es hat zwar wenigstens eine Prämisse, aber ist trotzdem eigentlich nur wieder ein weiterer Abschnitt in einem relativ normalem Leben. Ich würde das jetzt nicht direkt kritisieren, weil Vallhalla so ein durchaus interessantes Schmökererlebnis ist, aber als Highlight würde ich es nun auch nicht bezeichnen. Es ist ein Slice-of-Life Spiel in einer interessanten, kreativen Welt - nicht schlecht, weiß auf milde Art und Weise zu unterhalten, aber es wird vermutlich auch recht schnell bei mir wieder in Vergessenheit geraten. Bei den ganzen Aufregungen um Doki Doki Literature Club, Iconoclasts und Rime (die anderen kurzen Spiele, die ich bisher dieses Jahr durchhabe), ist Vallhalla bisher definitiv das irrelevanteste Spiel für mich^^.

1 Kommentar:

  1. " Ich selbst habe nicht immer durchschaut, ob sich durch meine Bedienung jetzt tatsächlich etwas großartig verändert, aber es muss wohl so sein, da es mehrere Enden gibt und man wirklich bei keinem Gespräch als Spieler Mitspracherecht hat."

    Der wichtigste Faktor bei den Getränken ist hauptsächlich ob man den Gästen nur das gibt was sie wollen, ober ob man stattdessen soviel Alkohol wie möglich reinhaut um sie betrunken zu machen (oder in manche Fällen dafür sorgt dass sie nicht betrunken werden), was teilweise die Gespräche ändert. Und wenn man bestimmte Getränke zu bestimmten Zeiten serviert kann man auch ein paar geheime Gäste "spawnen", auch wenn ich da ohne Guide nie drauf gekommen wäre.

    Und ja, das Action in dem Titel ist vielleicht ein bisschen irreführend, aber ich habe persönlich auch nie erwartet dass man da tatsächlich was anderes macht als Getränke zu servieren und mit den Gästen zu reden. Wenn die Story plötzlich irgendwie eskaliert wäre hätte das ja nicht wirklich zum restlichen Gameplay gepasst.

    Mal schauen ob N1RV Ann-A das irgendwie anders macht, aber wenn nicht, dann fände ich das auch nicht schlimm solange es genauso unterhaltsam ist. Für richtig gute Visual Novels müsstest du dich aber an längere Werke wie The House in Fata Morgana wagen, was sich zumindest dank der Unterteilung in mehrere Kapitel gut stückchenweise lesen lässt. Und das ist auch keine typisch japanische Visual Novel.

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