Sonntag, 16. September 2018

Build A Little World With Me - Rakuen

 

Ich glaube man kann Rakuen leicht unterschätzen. Erstens stellt man auf den ersten Blick unweigerlich Assoziationen mit Kan Gaos Spielen fest, da die Entwicklerin immerhin Laura Shigihara ist, die da ja zumindest musikalisch mitgewirkt hat. Außerdem wurde das Spiel auch mit dem RPG Maker erstellt. Und zweitens sieht es zuckersüß und niedlich aus, was ja nicht unbedingt für jeden etwas sein muss. Diese ersten Eindrücke sind auch berechtigt, aber wer eine kindlichere Version von To The Moon erwartet wird die ein oder andere Überraschung erleben.
Grundsätzlich ist Rakuen ein niedliches Adventure, das eine Geschichte mit Herz erzählt. Ich hatte erwartet, dass es gut werden würde, aber so gut? Eher nicht.
Alleine qualitativ hat das Spiel einiges zu bieten - grafisch stechen vor allem die gezeichneten Charakterportraits heraus, der Soundtrack ist einfach grandios und bleibt richtig im Gedächtnis, es gibt an jeder Ecke etwas zu entdecken und das Spiel strotzt nur so vor kreativen Charakteren und Ideen. Hier wurde einfach eine richtig lebhafte Welt erschaffen. Man möchte erkunden, man möchte mit allen sprechen, man möchte jedes Geheimnis finden,... und oben drauf gibts dann auch noch eine sehr gefühlvolle Geschichte, bei der man gerne mitlacht und auch ein bisschen leidet. Oder sehr viel leidet. Heh. :'D

Rakuen erzählt die Geschichte eines namenlosen Jungens, der in einem Krankenhaus verweilen muss und von seiner Mutter ein Buch namens "Rakuen" bekommen hat - quasi um den beiden die Zeit zu vertreiben, wenn "Mom" ihn an seinem Krankenbett besuchen kommt. In der Geschichte geht es darum, wie ein junger Mann in einem Fantasiewald namens Morizora's Forest Abenteuer erlebt, um sich von Morizora einen Wunsch erfüllen zu können und am ende nach Rakuen aufzubrechen, wo all seine Stammes- und Familienmitglieder sind. Und das ist so ziemlich auch das, was der Junge und seine Mutter dann machen, denn das Buch ist auch ein Schlüssel zu eben diesem Morizora's Forest.
Der Clou daran ist, dass die anderen Patienten und NPCs im Krankenhaus dort alle ein Alter Ego besitzen, und so lernt man nach und nach deren Geschichten und Hintergründe kennen - natürlich überschneiden sich hier Fantasie und Wirklichkeit, aber genau darin liegt eigentlich auch der Reiz. Und auch in der Tatsache, dass nicht alles im Leben ein Happy End hat.
Also ehrlich, ich hatte erwartet, dass ich den Leuten helfe und sich alle Probleme irgendwie lösen, aber genau darum geht es eben nicht. Es geht darum, Dinge zu akzeptieren, mit dem Schicksal Frieden zu finden und das zu schätzen, was man hatte und was einem geblieben ist. Unter der süßen Oberfläche ist Rakuen ein unfassbar trauriges Spiel. Viele Leute sterben. Ernsthaft. Am Ende lebt die Hälfte der Hauptcharaktere nicht mehr. Man kann sich zwar schon denken, dass die Sache zumindest für den Jungen nicht so gut ausgeht, da alle anderen im Krankenhaus auch etwas eher Ernstes zu haben scheinen, ein gruseliger Kerl ihn Nachts ständig besucht (dass das seine eigenen dunklen Gedanken sind kann man sich relativ früh denken, finde ich) und Rakuen immerhin übersetzt sowas wie "Paradies" heißt - danke TVTropes - aber ich hoffte zu Beginn noch berechtigt, dass wenigstens die anderen ein glückliches Leben führen würden. Und selbst als ich irgendwann realisiert hatte, dass ich hier nicht geschont wurde, war das Ganze so gut aufgezogen, das die voraussehbaren Sachen trotzdem ein Schock waren. xD

Ich glaube Genaueres möchte ich dann auch nicht so wirklich berichten, weil ich es schwierig finde in Worte zu fassen, wie man das Spiel erlebt oder wie ich es erlebt habe. Ich möchte das nicht einfach runtererzählen, weil ich dann so viel erwähnen müsste (um allem gerecht zu werden), dass ich niemals fertig werden würde. Deshalb werde ich einfach lose meine subjektiven positiven und negativen Punkte auflisten.

+ Die Charakterportraits sind unfassbar schön und niedlich. Ich habe noch nie einen Bären so süß gefunden wie Christina, und das ist nur eines der ersten Beispiele wo ich mir sowas dachte. Top Arbeit!
+ Der Soundtrack ist so wundervoll, vor allem weil er wirklich viele gesungene Stücke hat, und auch noch total hängen bleibt. Die Teile von Mori No Kokoro sind zum Beispiel totale Ohrwürmer, und manchmal geht mit beim Einschlafen einer davon nicht mehr aus dem Kopf.
+ Boah, und das Lied mit Sue. So eine perfekte Untermalung zur Szene im Spiel, unfassbar.
+ Die Gebiete kommen einem erst riesig vor, aber sie sind überhaupt nicht leer und man findet sich eigentlich gut zurecht. Mal von ein paar lahmeren abgesehen (Parts im Krankenhaus und da wo immer das Wasser abgelassen werden muss :D) gibt es auch echte Highlights, wie die Inseln in den Lüften.
+ Es gibt viele optionale Wege - meist nur kurz zu einer Truhe oder einem Pet, aber das ist wenigestens nicht anstrengend. Und ein paar wenige geheime größere Dinge gibt es auch noch zu entdecken.
+ Es gibt deutlich mehr zu tun als in den Spielen von Kan Gao. Es gibt sehr viele kleine (nicht schwierige, aber eigentlich spaßige) Rätsel. Von fehlendem Gameplay kann keine Rede sein.
+ ♫ If you brush your teeth and you get good grades, I would be so proud.... ♫ Äh, moment, wir waren beim Auflisten von positiven Punkten.
+ Ich komme immer noch nicht über manche kreative Einfälle hinweg. Ein Apfel, der sich als Knospe verkleidet! xD Oder alleine die ganzen unterschiedlichen Lebewesen in Morizora's Cave! Viele dieser Charaktere sind für die Geschichte komplett irrelevant, aber genau das zeigt wie viel Liebe hier reingesteckt wurde.
+ Die Envoy sind einfach gestaltet, aber vermitteln ein angemessen unangenehmes Gefühl. Wurde gut gemacht!
+ Ich mochte das Prinzip des Sammelns von Songparts sehr, und auch dass von Anfang an bekannt war, dass es fünf Personen sein werden, die ein Stück dazu beitragen. Ich sah außerdem nicht kommen, dass die Mutter der fünfte Charakter sein würde.

+ Die einzelnen Geschichten steigern sich dramaturgisch sehr geschickt. Erst hat man eine Frau, die "nur" im Koma liegt, danach einen Vater, der seinen Sohn verloren hat - aber eben schon vor vielen Jahren. Dann kommt das Ehepaar, das den ersten "aktuellen" Tod beinhaltet, aber die beiden sind schon alt und haben wenigstens ein langes Leben miteinander verbracht. Und dann kommt es richtig dicke mit Sue.
+ Das soll nicht heißen, dass irgendeine dieser Geschichten harmlos ist. Also sie sind alle sehr traurig, und zwischendurch dachte ich, dass ich nicht sicher bin ob sie sich steigern können. Aber ja, das konnten sie.
+ Dementsprechend habe ich komischerweise überhaupt nicht kommen sehen, dass Sue stirbt. Ich will nochmal betonen, wie gut diese Sache gemacht war - Ich glaube das war im Spiel mein (sehr trauriges) Highlight.
+ DER HUND IST NICHT GESTORBEN! Ich glaube das hätte mich umgebracht.
+ Dass Ume Sues Vater ist habe ich auch gar nicht erwartet. Also eigentlich ist die gesamte Sue-Sache einfach nur richtig, richtig gut.
+ Ansonsten gefiel mir besonders, dass Kisaburo sich vor seinem Tod noch an seine Frau erinnert hat, und Gemma ganz zum Schluss vermutlich noch aufgewacht ist, da man sie als Leeble im Abspann wieder bei den anderen sehen konnte. <3
+ Ich habe ja schon geschrieben, dass das Ende trotz meiner Erwartungshaltung, dass der Junge stirbt, so gut und einfühlsam gemacht war, dass es mich trotzdem erwischt hat.
+ Die Bedeutung der Mutter wurde immer weiter gesteigert. Erst kam mir die so als unterstützende Kraft vor, aber im Endeffekt ist sie es eigentlich, die am Ende mitunter am meisten versuchen muss, abzuschließen und weiterzumachen.
+ Die Fukushima-Andeutungen hatte ich schon am Anfang verstanden, aber dass der Vater da involviert war, entging mir natürlich wieder völlig. Also ich wurde eigentlich schon relativ oft überrascht, obwohl ich mir auch zusammenhanglose Kleinigkeiten so ein bisschen denken konnte.
+ Dass ich dann im Endeffekt alle Charaktere mochte und alle Geschichten sehr gut fand, sagt eigentlich schon viel über die Qualität der Story aus. Da kann ich wirklich, was das Erzähltechnische angeht, nichts nennen, was mir nicht oder nur so mittel gefallen hätte.
+ Rupert.

Vermutlich habe ich viele, viele Dinge vergessen, aber es lässt sich auch einfach nicht genug sagen, wie toll das Spiel ist.
Oh, und die negativen Punkte?

- Der erste Rätselpart bei Winston war mir etwas zu lang. Mir graute schon davor, das bei allen fünf Leuten machen zu müssen, aber zum Glück wurde es später flotter (und rein vom Setting her mochte ich zum Beispiel Tonys Haus schon deutlich lieber, obwohl das auch einiges an Zeit in Anspruch nahm).
- Der Junge ist zwar keine total lahme Ente, aber die Laufgeschwindigkeit ist trotzdem zu langsam für das Rumgerenne, das man betreiben muss. Vor allem wenn man alles entdecken möchte. Was man möchte. ;0
- Manche Gebiete im Krankenhaus und bei den Rätseln sahen einfach nicht besonders gut aus. Das gehört auch irgendwie so, aber da habe ich dem Spiel den RPG Maker auch irgendwie angemerkt. 
- Yami fand ich fast schon zu durchschaubar und relativ lahm. Nicht die Konklusion an sich, aber seine nächtlichen Besuche hätten mich zum Einschlafen gebracht. :D
- Äh.... ähm?
- Nun... puh.
- Nein, da ist nichts mehr.

Ich glaube ich brauche nicht nochmal erwähnen, was für ein schönes Spiel Rakuen ist. Es hat auf jeden Fall auch das Potenzial lange hängen zu bleiben, zum Nachdenken anzuregen und dabei vor allem Spaß zu machen. Irgendeine Kleinigkeit hat mir eventuell noch gefehlt, damit es mein Spiel des Jahres werden könnte - denn die Höchstwertung bekommt es auf jeden Fall - aber ich kann nicht mal benennen was es ist. Ansonsten habe ich, wie schon gesagt, nicht damit gerechnet so eine gut gemachte berührende Reise zu erleben - obwohl meine Erwartungen schon relativ hoch waren. Ich würde das Spiel echt jedem empfehlen, der etwas mit Adventures und liebevollen Geschichten anfangen kann.

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