Freitag, 12. Februar 2016

999 vs. Virtue's Last Reward #5


Der letzte Teil meines Vergleiches behandelt die einzelnen Charaktere etwas genauer, allerdings hauptsächlich im Bezug auf ihre Hintergründe. Vorlieben hat ja jeder andere, und ich werde zwar sicher auch mal durchscheinen lassen, ob ich jemanden mochte oder nicht, aber darum soll es eigentlich nicht gehen. Ich möchte eher die Daseinsberechtigung mancher Personen in der Geschichte beleuchten und so wenig wie möglich auf Sympathie und Antipathie beim Spieler eingehen - in dem Bezug wird es eher darum gehen, wie gut es meiner Einschätzung nach überhaupt möglich ist, die einzelnen Charaktere kennenzulernen, aber auch das nur als sekundäres Thema.

5. Die Notwendigkeit der Charaktere

Grundsätzlich möchte ich gleich von Anfang an klarstellen: Ja, absolut jeder einzelne Charakter hat eine fixe Begründung, in den jeweiligen Nonary Games beider Spiele zu sein. Nämlich, weil Akane gesehen hat, dass es so sein muss. Diesen Punkt möchte ich aber hier ignorieren, weil es einfach nur eine sehr bequeme Begründung für allen möglichen, abgefuckten Scheiß ist.
In "999" startet man mit einer Truppe, die augenscheinlich bunt zusammengewürfelt wurde, aber nach und nach erkennt man, dass wirklich alle irgendeinen Zusammenhang haben. Alle, außer Junpei, haben eine relativ starke Verbindung mit dem ersten Nonary Game. Die Hälfte der Leute waren Teilnehmer, dann gibt es die Veranstalter, den Retter der Kinder und eine Mutter, deren Töchter betroffen waren. Es gibt eine „übergeordnete Bindung“ untereinander, was einem unweigerlich das Gefühl vermittelt, dass diese und keine anderen Leute an dem Spiel teilnehmen mussten. Über den wahren Nutzen der Charaktere kann man sicher diskutieren – warum Lotus und nicht ihre Kinder? Wurde sie entführt, um den Computer hacken zu können oder gäbe es dieses Rätsel ohne eine Teilnahme gar nicht? Oder war es wirklich so wichtig, Seven dabei zu haben, nur um seine Erinnerungen irgendwann preisgeben zu können, wo Snake und Clover denselben Zweck erfüllen hätten können (vor allem weil er gerade mit dieser Erinnerung Teil eines ziemlich großen Plotholes ist)? Und überhaupt, war Clover nur dazu da, Junpei letztendlich auf die richtige Fährte zu locken, obwohl die Gefahr bestand, dass sie alle umbringen würde? Auf all diese Fragen gibt es wahrscheinlich viele Antworten, je nachdem wie der Spieler selbst diese Dinge interpretiert. Aber wichtig ist mir eigentlich, dass man das Gefühl hat, dass jede Person hier ihren Platz und ihre Daseinsberechtigung hat. Eng damit verbunden ist natürlich auch die schon tausend Mal von mir angepriesene Beteiligung der Charaktere – da sie in den Rätselräumen recht viel sagen und allgemein ein ständiger Dialog herrscht, wirkt zusätzlich jeder irgendwie wichtig. Außer dem 9th Man vielleicht. :P

Letzteres trägt natürlich auch dazu bei, dass man als Spieler relativ schnell eine Verbindung zu den einzelnen Leuten aufbaut. Zwar wirken sich diese je nach Route unterschiedlich aus, weil der eigene Fokus stark davon abhängt, mit wem man in die Rätselräume geht, aber das ist nicht weiter tragisch. Im Endeffekt hat man nämlich irgendwann zu jedem eine relativ klare Meinung, die auch nicht verblasst, weil sich zum Schluss trotz unterschiedlicher Rollen die meisten irgendwo gleichwertig anfühlen.
Ich möchte hier noch kurz anmerken, dass ich tatsächlich jedem Charakter etwas abgewinnen konnte. Als mein Freund das Spiel damals angefangen hat und ich zum ersten Mal nach meinen eigenen Durchgängen die ganze Truppe wieder gesehen habe, war ich unfassbar glücklich über jeden einzelnen. Egal ob gut oder böse – die Charaktere gingen mir nahe und hinterließen einen bleibenden Eindruck.

In „Virtue’s Last Reward“ gab es natürlich ein neues Prinzip für die einzelnen Charaktere, aber grundsätzlich war das grobe Muster nach der Auflösung sehr ähnlich: Da war der wahre Bösewicht, der aber nicht Zero war, die Leute, die mehr wussten als andere (aber hey, ohne Amnesie!) und schließlich die, die mit Zero zusammenarbeiteten. Es gab aber diesmal keinen übergeordneten Zusammenhang zwischen diesen Gruppierungen, da waren eher viele kleine Stränge im Spiel, die am Ende kein großes Ganzes ergaben. Und mir wurde ganz deutlich das Gefühl vermittelt, dass viele Personen nur im Spiel waren, damit Leute des ersten Teils auch was davon haben. Alice, Clover und Junpei sind im Endeffekt nämlich für mich die, die gemeinsam mit Quark am wenigsten Daseinsberechtigung haben.
Junpei müsste im Spiel an sich nicht unbedingt dabei sein. Er trägt nichts zum Erfolg des Unternehmens bei, außer dass er am Ende einige Details enthüllt, aber da waren genug Leute, die auch alles wussten. Also, ich hätte es den Entwicklern wahrscheinlich übel genommen, wenn Junpei nicht irgendwo vorgekommen wäre, aber warum nur als extremer Statist? Die Hälfte der Charaktere hatte größere Rollen, obwohl er Potential hatte. Er war im Nonary Game, um Akane wieder zu sehen (und man kann viel und schön spekulieren, warum sie ihn auch wieder dafür ausgewählt hat) und war an der Nevada Testsite auch irgendwie beteiligt... und dann darf er nur am Ende ein paar Plottwists verraten, während sich im Spielverlauf an sich eh niemand für ihn interessiert. Noch weniger verstehe ich, warum Quark dabei sein musste. Seine Existenz im Nonary Game beruht darauf, die meiste Zeit abwesend zu sein und Radical-6 zu bekommen. Quark hat nichts Interessantes zu bieten, ist kaum dabei und hat keinerlei Verbindung zu irgendwas. Er zeigt eigentlich nur, dass Junpei auch ohne Akane etwas Gutes in seinem Leben hat, was an sich cool ist, aber da der ehemalige Protagonist über weite Strecken keine allzu große Rolle spielt, vergisst man das eben auch gerne mal.
Kommen wir zu Alice. Eine Person, die in „999“ ein absolutes Mysterium war und auf die wahrscheinlich jeder Spieler absolut gespannt war. Aber da gibt es nichts Spannendes herauszufinden. Sie war einfach eine ganz normale Person, die bei einer geheimen Organisation arbeitete. Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, aber auch das hätte jede andere 0815-Tussi sein können. Lieber wurde aber die Neugierde der 999-Liebhaber geweckt und das Mysterium auf vollkommen lahmarschige Weise einfach zerstört.
Schließlich ist da noch Clover, die einfach auch nur da ist, damit sie da ist. Ja, mit ihrer Hilfe könnte man herausfinden wer Tenmyouji ist, und sie erzählt Gott sei Dank auch ein bisschen was davon, was nach 999 so passiert ist. Aber das fällt doch auch alles unter Fanservice so lange das für Teil 3 nicht noch relevant wird, denn das alles ist so lange her, dass es in der VLR-Zeit keine Bedeutung hat. Hier ist sie ebenso nur eine gesichtslose Statistin, die von jedem anderen ersetzt werden hätte können. Klar, diese Leute durch No-Names zu ersetzen hätte wahrscheinlich nichts spannender gemacht, eher nochmal im Gegenteil, aber altbekannte Personen auf diese Art und Weise eingesetzt zu sehen war halt einfach enttäuschend.

Das ist jetzt ziemlich langes Genörgel über etwas, das ich auch kürzer sagen hätte können: Durch das relativ lahme Motiv für das dritte Nonary Game verkommen auch die Charaktere teilweise zu irrelevanten Rollen. Es geht ja darum, Sigma und Phi zu schulen und alle anderen werden im Endeffekt dafür benutzt. Damit werden diese beiden auf ein Podest gehoben, dem die anderen nicht folgen können und das hinterlässt einen unguten Nachgeschmack. Selbst die, die für den Verlauf wichtig sind wie Dio und K, wirken am Ende wieder blass. Weil beim Radical-6 Zwischenfall, den es als großen Plottwist zu verhindern gilt, niemand von ihnen mehr wirklich relevant sein wird. Es geht auch gar nicht darum, ob sie im dritten Teil tatsächlich nicht dabei sind, sondern nur um den Umstand, dass dieses Gefühl zu diesem Zeitpunkt eben einfach entsteht.

Die Charaktere an sich sind eigentlich gut gelungen. Ich habe wahrscheinlich jeden von ihnen mal gehasst und mal gemocht (außer Sigma und Luna, die ich immer mochte)– eigentlich aufgrund relativ realistischer Verhaltensweisen. Da war eben nichts eindeutig schwarz oder weiß, außer vielleicht bei Dio, der aber trotzdem als Konzept total gut funktioniert. Gut gefallen hat mir auch, dass irgendwann das Gefühl entstand, man würde die Gruppendynamik ein bisschen durchschauen. Ich habe irgendwann Phi, K und Luna nur noch „das Team“ genannt, weil ich mir sicher war, dass sie auf Sigmas Seite standen und für Zeros Plan alle wichtig waren. Das hatte schon zur Folge, dass ich eine gewisse Bindung zu ihnen aufgebaut habe. Beim Rest habe ich mir aber sehr schwer getan.
Der Fokus auf bestimmten Charakteren ist in VLR noch stärker als bei 999 und man verliert zwischendurch so manchen Bezug, den man zu jemandem hatte, in einer anderen Route wieder. Das wäre aber vielleicht ein kleineres Problem, wenn sich eben nicht herausstellen würde, dass die Hälfte des Casts absolut irrelevant ist - das Gefühl aus 999, dass am Ende alle gleichwertig sind, gibt es hier absolut gar nicht, ganz im Gegenteil. Zusätzlich dazu wird auch niemals geklärt, wer Phi eigentlich ist, was in dem Moment, wo man das realisiert, auch ärgerlich ist. Nachdem schon hinter Quark absolut nichts steckt und Alice jede mysteriöse Aura genommen wurde, erfährt man nicht einmal etwas über den Charakter, über den man wahrscheinlich das ganze Spiel über gerätselt hat. Das ist einfach enttäuschend und verstärkt das Gefühl, dass man als Spieler nichts erreicht hat – wenn man schon niemanden retten konnte und alles nur zum Training ebenjener Person über sich ergehen ließ, dann hätte so eine Information als Belohnung schon drinnen sein können.
Aber immerhin darf man einen Blick darauf werfen, was aus Akane wurde. Auch wenn ich sie als Charakter dann überhaupt nicht mehr mochte, empfand ich es hier sicher als sehr gute Entscheidung, sie auftreten zu lassen (und prinzipiell zu einem zentralen Thema zu machen).


Ich glaube, der dritte Teil kann vieles wieder gut machen, was „Virtue’s Last Reward“ verbockt hat, gerade bezüglich der inhaltlichen Geschehnisse. Wahrscheinlich sind viele Dinge, die dort vorenthalten wurden, aus einem Grund nicht in dem Spiel, aber das macht den zweiten Teil an sich leider nicht besser. Wenn der dritte allerdings gut wird, werde ich die Reihe als Ganzes auch gut finden und leichter über das schwächere VLR hinwegsehen können. Wie gesagt, eigentlich ist das Spiel nicht schlecht, aber das Ende zieht es schon runter, und der Vergleich mit dem Vorgänger für mich halt noch mehr, weil ich den so außergewöhnlich gut finde.
Die Entwickler haben deutlich erkennbar versucht, aus „Virtue’s Last Reward“ etwas Gutes zu machen, auch mit der richtigen Mischung aus Altem und Neuem. In der Praxis ist es leider dann nicht immer gut gelungen, viele Punkte wären aber leichter verschmerzbar, wenn es den tollen Vorgänger nicht gäbe. Zusätzlich möchte ich auch erwähnen, dass dem Erschaffer auch bestimmte Vorgaben gemacht wurden, die er so nicht vorgesehen hatte – so durfte das Spiel nicht mehr ganz so düster und gewaltträchtig wie 999 werden. Ich denke vieles an der Atmosphäre, die ich hier oft vermisst habe, ging auch aus diesem Grund verloren.
Auf jeden Fall freue ich mich auf den dritten Teil, weil die Qualität von beiden Teilen einfach einen richtig guten Abschluss verspricht. Ich bin trotz aller Kritikpunkte überzeugt, dass die Macher wieder ein wundervolles Spielerlebnis kreieren werden.

PS.: Ich hätte auch noch Plotholes vergleichen können, die es in beiden Teilen natürlich gibt - da stehen sie sich wohl in nichts nach. Aber da gab es schon zwischen meinem Freund und mir hitzige Diskussionen darüber, in denen wir uns nicht ganz einig wurden, also lasse ich das. Da ist nun wirklich viel davon abhängig, ob man sich persönlich mit bestimmten Erklärungen oder Unsinnigkeiten abfinden kann oder nicht. :D 

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