Montag, 25. Januar 2016

Anachronox


Anachronox ist ein futuristisches RPG, das in Amerika entwickelt wurde, sich spieltechnisch aber eher an östlichen Rollenspielen orientiert. Dadurch entsteht eine recht interessante Mischung, die wirklich gut funktionieren würde, wenn die Technik dem Ganzen nicht einen Strich durch die Rechnung machen würde.
Anachronox wurde auf einer modifizierten id Tech2 Engine gemacht, die damals für Spiele wie Quake II genutzt, und hier erstmals für ein RPG herangezogen wurde. Das merkt man einfach an allen Ecken und Enden - viele Bugs (vor allem bei der Darstellung) und elendig lange Wartezeiten (ja, Warte-, und nicht Ladezeiten) stellen den geneigten Spieler vor eine einzige, große Geduldsprobe. Dabei bietet das Spiel an sich sehr viel, was man sich bei so manchem Genrevertreter nur wünschen kann.

In Anachronox spielt man Sly Boots, einen Privatdetektiv, der auf dem gleichnamigen Planeten (also Anachronox, nicht Sly Boots :D) ein recht armseliges Dasein fristet. Er hat Schulden, verbringt seine Freizeit gerne in einschlägigen Etablissements und hat seine tote Sekretärin zu einer Art virtuellen Terminplaner umfunktioniert, die darüber auch nicht wirklich glücklich ist. Hier haben wir also den typischen Antihelden und den klischeehaften, versifften Privatdetektiv, der aber trotzdem irgendwo gut funktioniert.
Dies liegt vor allem am hervorragenden Writing im Spiel, das man nicht nur in Zwischensequenzen oder wichtigen Szenen bewundern kann. In Anachronox gibt es viele NPCs, die fast immer etwas Interessantes zu sagen haben, sofern man sich ein bisschen für die Welt interessiert. Keiner von denen ist einfach nur "da", sondern man bekommt das Gefühl, dass jeder irgendwo eine eigene Geschichte und Gründe hat, selbst wenn sie im Dialog nicht direkt angesprochen werden. Außerdem verändern sich die Reaktionen auch, wenn man mit unterschiedlichen Partymitgliedern jemanden anspricht - das sieht man zum Beispiel dann besonders gut, wenn man eine Alienrasse mit jemandem anspricht, der vom selben Planeten stammt. Also hat man wirklich das Gefühl, dass es eine lebendige Welt gibt, deren Bewohner ein echtes Bewusstsein bekommen haben, egal wie unbedeutend sie auch sein mögen.

Also ja, andere Rassen und andere Planeten. Wie schon gesagt, Anachronox ist ein futuristisches RPG, und dementsprechend spielt es nicht in einer Welt, sondern quasi in einem Universum. Schnelle Raumfahrten gehören genauso zum guten Ton wie Aliens. Der Startplanet ist auch keineswegs ein "Planet der Menschen" - diese sind ohnehin gar nicht näher thematisiert, sondern scheinen gleichbedeutend mit jeder anderen, halbwegs entwickelten Rasse. Das ist sehr angenehm.
Jedenfalls wird Sly Boots durch bestimmte Ereignisse - wie das in RPGs nun mal so ist - unfreiwillig in eine Geschichte hineingezogen, die am Ende weit größere Ausmaße hat, als Anfangs gedacht. Natürlich steht das gesamte Universum auf dem Spiel. ;0 Was jetzt generisch klingt, fühlt sich aber nie wirklich so an. Das liegt zu einem großen Teil sicher an dem Humor, der sich durch das ganze Spiel zieht. Es scheint sich die meiste Zeit über selbst nicht ernst allzu zu nehmen, was dem wirklich gut tut. Bei mir hat es zwar ein bisschen gedauert, bis die Witze auch wirklich gezündet haben, aber das war nur, weil der Einstieg ins Spiel nun einmal sehr schwierig ist.
Es gibt also ein paar Punkte, die Anachronox richtig gut macht, aber zu denen muss man sich erst einmal durchkämpfen. Der Beginn ist unglaublich langsam und die Geschichte kommt erst spät in Fahrt. Es gibt schon Anfangs viel zu entdecken, und sicher auch viel zu lachen, aber man konzentriert sich da einfach noch auf die vielen Unannehmlichkeiten.
Erst einmal ist der Planet Anachronox sehr weitläufig (und wird es im Verlauf noch mehr), wodurch man mitunter sehr lange Laufwege hat, die auch verwirrend sein können. Das wäre vielleicht nur halb so schlimm, wenn die Laufanimation nicht teilweise verbuggt wäre - manchmal zuckt der Charakter, den man steuert, nur so vor sich hin, statt einfach zu rennen. Man kommt zwar weiter, aber nur sehr langsam. Und dann gibt es da noch die Aufzüge, nach denen es manchmal eine elendig lange Wir-kommen-mit-dem-Aufzug-an-Animation gibt, bis man wieder steuern kann. Allgemein sind manche Kamerafahrten eine harte Geduldsprobe. Man muss auch wirklich viel Backtracking betreiben, wodurch das alles zu einer Tortur werden kann. Und wenn man Sidequests sucht, dann noch viel mehr. Diese lassen sich nämlich nicht nur etwas schwer finden, weil es einfach so viele NPCs gibt, sie werden auch nicht ins Quest-Buch eingetragen.
Der Hauptteil des Spiels besteht sowieso eher aus Herumlaufen und Rätsel lösen, wodurch es oft an ein Adventure erinnert - und in diesen ist Backtracking und zielloses Gesuche schon ohne Bugs nervig genug. ;0 Aber das Spiel stürzt an manchen Stellen auch noch ab, die man zwar nicht fürs Vorankommen braucht (beispielsweise bei der Spezialattacke eines optionalen, sehr starken Gegners), aber trotzdem den Spaß sehr trüben. Und dann gibt es auch Dinge, die einfach nicht funktionieren wie sie sollen. Oder die Charaktere bleiben an einer Stelle des Weges einfach hängen... Es gibt echt einiges, was man hier aufzählen könnte. Wenn man dann doch kämpfen darf - was später im Spiel dann doch mehr wird als zu Beginn -, ist man gleich doppelt ernüchtert.

Grundsätzlich kämpft man mit drei Charakteren, bei denen sich je ein kreisrunder Balken füllt bis derjenige eine Aktion ausführen kann. Sowas wie ein ATB also. Dann kann man angreifen, Items benutzen, Spezialtechniken einsetzen oder sich auf dem Kampffeld bewegen (weil die Position auch eine Rolle spielt). Wäre jetzt weder besonders gut, noch besonders schlecht, wenn nicht diese elendigen Wartezeiten wären. Die Balken würden sich schnell genug füllen, wenn nicht für jede Animation alles stehen bleiben würde. Und die dauern eine Weile - teilweise nicht mal die Animation an sich, sondern ernsthaft die Kamerafahrt nach einer Aktion, bis man wieder die Ausgangsposition des Kampfbildschirmes sieht. o.o
Also ja, Kämpfe dauern eine Weile, und wenn dann ein Charakter mal den Angriff verfehlt (was verhältnismäßig häufig passiert) oder ein Gegner mit 7 HP überlebt, ist das viel ärgerlicher, als bei einem Spiel mit angemessenem Tempo. Das kann sogar richtig frustrierend werden.
Erst wenn man nach einigen Spielstunden auch die Gelegenheit bekommt, ein Pendant zu "Magie" zu benutzen, wird es etwas besser und kann teilweise sogar Spaß machen. Denn Magie trifft so gut wie immer und verteilt oft auch noch Statusveränderungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Und ein "Poison" macht hier nicht ein paar HP Schaden, sondern zieht jede Runde ungefähr so viele Lebenspunkte ab, wie man mit dem Zauber verursacht hat - also zum Beispiel 400 HP bei Monstern, die insgesamt vielleicht 900 HP haben. Also richtig cool (allerdings weniger, wenn die Charaktere von sowas getroffen werden xD).
Und noch viel später im Spiel - bei mir waren es so 15 Stunden - bekommt man dann die Gelegenheit, sich selbst "Zauber" zu basteln, was dann richtig viel Spaß macht. Da kann man sich echt austoben, wenn man ein bisschen die Grundzüge verstanden hat.
Dazu muss man sich aber sehr in die Thematik hineinfuchsen, oder an anderer Stelle (am besten im Internet) Rat suchen. Im Spiel selbst wird trotz Kampftutorial und kurzen Erklärungen alles nur unzureichend angeschnitten. Man kommt wahrscheinlich schon irgendwie durch, weil das meiste mit normalen Angriffen zu erledigen ist - sofern man immer die aktuellsten Waffen für alle hat - aber die Zaubermechanik wertet das Spielprinzip einfach wirklich auf (und das hat es bitter nötig).

Also, nochmal zusammengefasst heruntergebrochen: Anachronox ist im Bezug auf World Building und Dialoge wirklich klasse. Obwohl es im Endeffekt eine Weltrettungsgeschichte ist (bzw. Universums...rettung... oder so), wird diese ganz anders angegangen als in JRPGs und wirkt überhaupt nicht generisch. Sie hat auch ein paar recht gute Plottwists. Die Charaktere in der Geschichte sind auch allesamt sehr eigen und man hat eine bunt durchmischte Party. Ich habe Frau Dr. Rho Bowman als meinen Lieblingscharakter sogar echt sehr geliebt. <3
Außerdem sind die Schauplätze und Planeten sehr unterschiedlich, atmosphärisch und haben verschiedenste Arten von Aufgaben zu bieten - auch und vor allem innerhalb der Hauptquest. Und das Erstellen von Zaubern macht richtig viel Spaß.
Aber das alles reicht nicht, um die Unannehmlichkeiten auszumerzen. Die altbackene Grafik ist hier nur das Offensichtlichste - das Spiel spielt sich genauso schlecht wie es aussieht. ;0 Es ist langsam und hat einige Bugs, die die Spielfreude trüben und echt an den Nerven zehren können. Außerdem wird so gut wie nichts ausreichend erklärt, so dass es passieren kann, dass man bis zum Ende nicht alles vom Gameplay verstanden hat.
Schade fand ich auch, dass bei den letzten Bossen die Magie, die ja am meisten Spaß am Kämpfen gemacht hat, völlig obsolet wurde, weil normale Angriffe in jeder Hinsicht mehr Schaden gemacht haben.
Und zum Schluss noch zum Ending: Es ist offen. ;0 Also eigentlich rettet man in Anachronox das Universum noch nicht, sondern versucht es und scheitert. Zum Schluss entscheidet die Party dann, trotzdem weiterzumachen und das Schlimmste noch irgendwie zu verhindern. Im nächsten Teil. Den es nie gab. Und wohl nie geben wird. Aber ernsthaft, ich wüsste auch nicht, ob ich ihn spielen würde, wenn er damals erschienen und genauso unkomfortabel geworden wäre.

Ich würde das Spiel also niemandem empfehlen. Ich schätze mich ja als jemanden mit relativ hoher Schmerzgrenze ein, und wäre ich das nicht, dann wäre ich vermutlich nicht einmal so weit gekommen, dass es irgendwann angefangen hätte Spaß zu machen (eben so bei 7 Stunden, wo dann die Magie ins Spiel kam). Das ist sehr schade, weil ich sehen kann, dass hier etwas Gutes schlummert, das durch die Technik kaum mehr spielbar ist.

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